Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
Vom Netzwerk:
Astrid denkt: »Wenn ich Julius sehe, kann ich mich ja schnell umdrehen.« Sie muss lachen, dreht das Wasser eiskalt und beschließt laut prustend, sich jetzt mal zu entspannen und es drauf ankommen zu lassen. Sollte Julius im Frühstücksraum sitzen, gäbe es immer noch die Möglichkeit, dass er sie nicht erkennt. Vierundzwanzig Jahre immerhin sind vergangen.
    Im Frühstücksraum sieht es tatsächlich so aus, wie sie sich das Hotel Gellért zu Hause in Berlin ausgemalt hatte. Es gibt ein Buffet, das versucht ein gutes Hotel zu imitieren, aber es gelingt nicht. Die Wurst ist fettig, dem in Scheiben geschnittenen Käse sieht man seine industrielle Herstellung an. Fettige Bratwürste, das Rührei liegt auch schon länger in der chromglänzenden Schüssel und ist am Rand angetrocknet und bräunlich. Nichts sieht irgendwie anders aus als in einem billigen All-inclusive-Hotel auf Mallorca. Neben einem dampfenden Samowar für den Tee stehen Thermoskannen mit Kaffee. Er ist eher grün als schwarz, und Astrid gießt sich so viel Milch hinein, bis er die Farbe von dünnem Kakao annimmt. Sie trägt ihre große Sonnenbrille, und durch deren leicht rötliche Gläser hat sie bereits beim Betreten des Frühstücksraums gesehen, dass Julius und Sascha nicht hier auf den geschmacklosen beigen Bistrostühlen sitzen. Paul lädt sich den Teller voll, obwohl er die Hälfte der Dinge, die da auf seinem Teller landen, in Berlin nicht mal mit der Kneifzange anrühren würde. »Und es natürlich auch nicht sollte«, denkt Astrid, nimmt zwei kleine Schokocroissants und setzt sich zu ihm in eine Nische mit Blick auf die Donau. Sie hat sehr wohl bemerkt, dass Paul, bevor er sich setzte, das Geschirr der Vorgänger schnell zusammengestellt und auf den Nachbartisch verfrachtet hat.
    »Was machen wir denn nachher?«, fragt er und beißt in eins der Würstchen.
    Sie schiebt die Sonnenbrille hoch und sagt: »Keine Ahnung. Du hast doch sicher schon einen Plan gemacht.«
    »Ach, jetzt komm schon, sei nicht so. Was sehen wir uns an? Die Fischerbastei oder die Burg? Du kennst das doch hier alles. Lass mich nicht so hängen.«
    »Gut«, denkt Astrid und sagt: »Gut, dann werde ich dir ein bisschen was zeigen aus meiner Vergangenheit, wenn du dir das so wünschst. Dann laufen wir ein bisschen durch die Stadt zum Nyugati pu. Aber auf dem Weg dorthin will ich einen Cappuccino, um dieses Desaster hier zu vergessen.« Sie deutet auf den Frühstückstisch mit seiner beschmierten olivgrünen Decke.
    »Was ist der Nyugati pu?«, fragt Paul und grinst »Ich kenn nur Winnie the Pooh.«
    Da liebt Astrid ihn wieder, ihren Paul, und sagt: »Das ist der Westbahnhof, wir müssen mal gucken, wie weit das von hier ist. Ob man laufen kann oder ob wir ein Taxi nehmen müssen.«
    »Der ist in Ordnung«, hatte ihr Sohn Samuel gesagt, nachdem Paul gegangen war am ersten gemeinsamen Abend mit ihr und den Kindern. Astrid dachte, dass er längst schliefe. Am Küchentisch saß sie noch mit Paul, trank Wein und knutschte ein bisschen. Paul sah sie an und fragte: »Na, habe ich die Prüfung bestanden? Was meinst du?«
    »Haste, glaube ich«, sagte Astrid und nahm noch eine Fingerspitze von der Mousse au Chocolat, die nur zur Hälfte aufgegessen auf dem Tisch stand. Nicht, weil sie nicht schmeckte, sondern weil sie riesig war. »Du hast mit unfairen Mitteln gearbeitet«, sagte Astrid. »Medium gebratene Steaks, sahniges Kartoffelgratin, Schokoladenmousse. Alles Dinge, die ihre bekloppte Mutter niemals hinkriegen würde.« Die Kinder hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, während Paul in der Küche gekocht hatte, und Astrid war mit klopfendem Herzen hin- und hergelaufen zwischen den Dreien. So als könne sie damit die Stimmung etwas lösen. Beim Essen wurde kaum geredet. Paul gab sich Mühe und fragte nach dem Fechttraining von Samuel und nach Fines Lieblingsfächern. Samuel antwortete mit einem Satz, und ihre Tochter sah sie etwas ratlos an, sodass Astrid antwortete an ihrer Stelle. Fine nickte und zeigte ihm später das Fotoalbum von Lukas, das Pferd, auf dem sie seit einem halben Jahr ritt. Sie stellte sich neben Paul, und ihre Schulter berührte dabei sanft seine Schulter. Samuel quetschte ihn später nach seiner Radiolaufbahn aus. Astrid war für einen Moment, als könne sie gehen, und die drei würden es gar nicht bemerken. Drei Jahre waren seit der Trennung von Tobias vergangen, und sie hatte den Kindern in dieser Zeit keinen anderen Mann vorgestellt.
    Paul küsste sie

Weitere Kostenlose Bücher