Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
Die Stunde Null
Genüsslich stemmte Stuhr sein Weizenbier
zum Beginn seines Urlaubs gegen die Sonne. Endlich, er hatte es geschafft, dem geschäftigen
Trubel in Kiel zu entkommen. Wie jeden Sommer hatte er auf gutes Wetter gelauert
und sich für eine Woche in St. Peter-Ording an der Nordsee einquartiert. Er liebte
an diesem mondänen Badeort die schönen Plätze zum Flanieren, die eleganten Hotels
und das grüne, geschichtsträchtige Hinterland.
Auch dieses
Jahr hatte er zur Erstbesteigung den Pfahlbau Arche Noah erwählt, um gleich am Ende
der Seebrücke mit Blick auf den weitläufigen Strand vor St. Peter-Ording sein Einlaufbier
zu genießen.
Seit dem
letzten Jahr hatte sich allerdings manches verändert. Die Terrasse war jetzt riesengroß,
neue Scheiben erlaubten eine weiträumigere Sicht, und vom Service herrschte nun
auch hier das Feeling der berühmtesten Bretterbude der Republik, der Sansibar auf
Sylt.
Das manifestierte
sich selbst auf dem Bierdeckel mit den gekreuzten Säbeln: Sansibar Arche Noah.
Der erste
Schluck in der jodhaltigen Luft der Nordsee war immer der schönste, und er beglückwünschte
sich ausgiebig dazu. Schnell trat das wohlige Gefühl des Wegdösens bei ihm ein.
Ja, er wollte in dieser Ferienwoche alles von sich fallen lassen und zu seinen inneren
Wurzeln zurückkehren. Vielleicht würde er noch einmal ganz von vorn anfangen, nach
all dem, was er im letzten Jahr erlebt hatte.
Mit Jenny.
Ohne Jenny.
Stuhr lehnte sich entspannt auf
seinem bequemen Liegestuhl zurück, um die Sonne in sein Antlitz einzusaugen. Das
gelang auch einige Zeit, bis eine gepflegte schlanke weibliche Bedienung seine besinnliche
Phase störte, um auf dem verwaisten Tisch neben ihm einen rötlichen Drink abzustellen.
Dann öffnete sie eine Zigarettenschachtel Overstolz und zog drei Zigaretten hervor,
um sie mit einem Reserviert-Schild abzustellen.
Overstolz,
das war der klangvolle Name einer alten Marke. Stuhr konnte sich aus seiner Kindheit
noch gut an die Werbung erinnern. Im Geschmack liegt der Genuss.
Nachdenklich
widmete sich Stuhr wieder seinem Sonnenbad, bis ihn ein irritierendes Flackern störte.
War ihm seine Erholung nicht vergönnt?
Stuhr blinzelte
in die Sonne, aber erkennen konnte er nichts. Verärgert stand er auf, um die Lage
besser einschätzen zu können. Nun verfolgte er, wie ein kleines brummendes Sportflugzeug
unterhalb der Sonne ansetzte, um auf dem Sand vor dem Pfahlbau zu landen. Das würde
kein leichtes Unterfangen sein, denn der Pilot konnte dazu nur den kleinen Sandstreifen
nutzen, der nicht verschlammt, aber auch noch nicht ausgetrocknet war. Verboten
war es vermutlich auch.
Die Badegäste,
die sich auf diesem schmalen Streifen befanden, stoben in Panik schreiend auseinander,
und dann ließ bereits das Dröhnen der wie eine lahme Ente absackenden Maschine die
Windschutzscheiben der Terrasse erzittern.
Die blonde
Bedienung schien ebenfalls Interesse an der Vorstellung gefunden zu haben. Gebannt
verfolgte sie das Schauspiel.
Das Ende
des Fluges gestaltete sich spektakulär. Beim Auslaufen geriet der Vogel in eine
quer stehende Wasserrinne und steckte prompt die Nase in den Sand, wodurch der Propeller
heftig den sandigen Untergrund aufwühlte, bis sich ein abgebrochener Luftschraubenflügel
mit unerwarteter Wucht durch die aufschreienden Strandgänger in Richtung Nordsee
verabschiedete. Dann blieb die Maschine mit hochgerecktem Heckflügel wie eine tauchende
Ente im Untergrund stecken.
Lame Duck
Approach, so würde das sicherlich sein ehemaliger Kollege Oberamtsrat Dreesen in
seinem angeeigneten Fliegerlatein betiteln. Einige Strandgänger stöpselten sich
die Finger in die Ohren, weil sie eine gewaltige Explosion befürchteten.
Die trat
auch ein. Allerdings nur in der Form, dass ein groß gewachsener Mann die rechte
Seitentür öffnete und leichtfüßig aus dem verunglückten Fluggerät sprang. Der Schaden
schien ihn nicht weiter zu stören, denn er strebte hurtig auf den Pfahlbau zu.
Jetzt kraxelte
auch der Bruchpilot auf der anderen Seite der verunglückten Maschine aus dem Cockpit
und begann kopfschüttelnd den Zustand seines Fluggerätes zu inspizieren. Ein Blick
auf den malträtierten Propeller verdeutlichte ihm, dass ein neuerlicher Start ausgeschlossen
war.
Selbst schuld,
sagte sich Stuhr und flößte sich genüsslich einen zweiten Schluck von seinem köstlichen
Getränk ein.
Die Kellnerin
seufzte und drehte sich weg, um sich wieder ihrem Tagesgeschäft zu widmen.
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