Was gewesen wäre
kamen. Hatte Vater eingesammelt, uns war schon etwas mulmig, weil es so lange dauerte, aber dann hatten wir ihn endlich.«
Józef kommt aus dem Wald geschlurft. Er streckt beide Hände aus, die voll sind mit kleinen Himbeeren. Paul greift danach, steckt ein paar in den Mund und sagt: »Gibt es denn jetzt schon Himbeeren?« Margarete nimmt sich auch eine und sagt: »Józef würde auch welche finden, wenn es jetzt Dezember wäre. Manchmal wundere ich mich, dass nicht ein Eichhörnchen auf seiner Schulter sitzt oder ein Rabe.«
»Aber«, sagt Paul, »Jugoslawien war doch auch sozialistisch. Wieso haben die euch eigentlich keine Probleme gemacht?«
Astrid freut sich, dass sie endlich auch mal was sagen kann. »Die haben uns als Deutsche gesehen. Du hast damals in jeder westdeutschen Botschaft deinen DDR-Pass gegen einen BRD-Pass tauschen können. Auch in Sofia oder Prag. Nur hat dir der nichts genützt, weil ja der Einreisestempel in das Land fehlte. Den Jugoslawen war das wurscht. Wenn du es dahin geschafft hattest, warst du quasi draußen.«
»Let’s go to Novi Sad«, sagt Józef »To Gmitar. It’s fun.«
»Gmitar Toma, the painter?«, fragt Sascha, und Józef nickt. »Der ist super«, sagt Sascha zu Paul und Astrid. »Der malt so riesige Ölschinken. Den wollte ich immer schon mal kennenlernen. I thought he lives in Belgrad.« Doch Józef schüttelt den Kopf und hält Astrid die letzte Himbeere hin: »No, in Novi Sad.«
Astrid sitzt neben Margarete, und sie fahren allein auf die Grenze zu. Die Männer wollen über die grüne Grenze laufen, weil sie Józef nicht im Kofferraum rüber nach Serbien bringen können. »It’s easy. Believe me. I will find the right way«, hatte Józef gesagt, aber das war Astrid dann doch zu viel gewesen. Sie hatte auf ihre roten Ballerinas gezeigt und gesagt: »Das ist wohl nicht das richtige Outfit für euer Räuber-und-Gendarm-Spiel.« Paul war sofort Feuer und Flamme, Sascha nickte amüsiert, und bei Julius hatte sie das Gefühl gehabt, dass er nur mitging, um nicht blöd vor den anderen dazustehen.
Margarete stoppt den Wagen am Ende einer Schlange von etwa zwanzig Autos. Langsames Stop and Go. Das hat Astrid schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Sie schiebt die Kassette in den Recorder, Leonard Cohen singt »Chelsea Hotel«. Margarete sieht zu ihr rüber, und Astrid sagt: »Wir hören auch alle denselben Quatsch.«
»Józef hört den immer gern«, sagt Margarete und dreht lauter. »Aber ich mag ihn auch.«
»Ja, ich ja auch. Aber es ist irgendwie absurd.«
Sie sieht in die Karte. »Wir treffen uns in Horgoš«, hatte Sascha gesagt, und als Astrid geantwortet hatte: »Aber dass ihr das dieses Mal auch findet«, hielt Julius sein Smartphone hoch: »Kann ja nichts mehr schiefgehen heutzutage.« Dann waren sie im Kornfeld verschwunden, und Astrid war in Margaretes Auto gestiegen.
»Ich würde wirklich gern raus aus diesem Land«, sagt Margarete, während sie die Pässe vom ungarischen Zöllner wieder in Empfang nimmt. »Aber das ist mit Józef nicht zu machen. Das kannst du vergessen. Ohne sein Ungarn ist der nichts.«
Astrid steckt ihren Personalausweis wieder in das Portemonnaie und dreht »Famous Blue Raincoat« leiser. »Ist es denn wirklich so schlimm?«
»Seit die Fidesz regiert, sind mehr Menschen aus Ungarn geflohen als nach dem Aufstand 1956. Es sind also mehr Leute vor diesen Ungarn abgehauen als vor den Russen. Ich möchte hier nicht mehr leben, nicht unter diesen Idioten.«
»Aber wo willst du dann hin?«
»Das ist mir eigentlich egal. England, Frankreich, Skandinavien, Österreich oder Deutschland. Ich spreche ja ganz gut Deutsch. Und ich habe eine Freundin in Frankfurt, die hat eine Werbeagentur. Mit der habe ich Kunst studiert. Da könnte ich erst mal arbeiten und müsste nicht putzen gehen oder so was.«
Auch der serbische Grenzer winkt den Wagen mit den beiden Frauen durch. »Republic of Serbia« steht auf einem großen blauen Schild und auf Kyrillisch »Dobro doschli«. Was dann wohl »Willkommen« heißt. Astrid ist sich nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee war, einfach so über die Grenze zu laufen. Immerhin endet hier die Europäische Union, und irgendwelche Kontrollen werden die doch an ihrer Grenze haben. Sie denkt an Paul und an seine Herzkranzgefäße, aber Margarete legt ihr die Hand auf den Oberschenkel und sagt: »Denen passiert schon nichts. Nicht, solange mein Józef dabei ist.«
»Und Julius, was ist mit dem?«
»Was soll mit dem
Weitere Kostenlose Bücher