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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Et und fragte sich, wer das wohl gesehen hatte.
    »Nicht zu Besuch. Um mich zu tummeln.« Dann erzählte er ihr, dass er von der Wiedereröffnung des Hotels Wind bekommen und so etwas, nämlich Ausflugsbusse fahren, schon anderswo gemacht hatte, in Florida und Banff. Und als sie fragte, erzählte er ihr von seinen beiden Frauen. Er fragte gar nicht, ob sie verheiratet war, ging davon aus, dass sie es nicht war. Er fragte auch nicht, ob Char es war, also sagte sie es ihm.

    Et musste daran denken, wie sie zum ersten Mal gemerkt hatte, dass Char schön war. Sie betrachtete ein Foto von ihnen, von Char und sich selbst und ihrem Bruder, der dann ertrank. Et war auf dem Foto zehn, Char vierzehn und Sandy sieben, nur ein paar Wochen weniger alt, als er je werden würde. Et saß auf einem Stuhl, Char stand hinter ihr, die gekreuzten Arme auf der Lehne, und Sandy saß in seinem Matrosenanzug im Schneidersitz auf dem Fußboden – oder auf einer Marmorterrasse, könnte man meinen, bei der merkwürdigen Wirkung von nichts als einem staubigen, vergilbten Wandschirm, der aber auf dem Foto aussah wie eine Säule mit drapiertem Vorhang vor einer Pappelallee mit Springbrunnen. Char hatte sich für die Aufnahme vorn die Haare hochgesteckt und trug ein knöchellanges hellblaues Seidenkleid – die Farbe war natürlich nicht zu sehen – mit komplizierter Paspelierung aus schwarzem Samt. Sie lächelte ein wenig, mit großer Gelassenheit. Sie hätte achtzehn sein können, sie hätte zweiundzwanzig sein können. Ihre Schönheit war nicht von der drallen, schüchternen Art, wie sie meistens zu jener Zeit auf Kalendern und Zigarrenkisten zu finden war, sondern spitz und zart, intolerant und herausfordernd.
    Et schaute lange dieses Foto an, dann ging sie und betrachtete Char, die in der Waschküche stand. Es war Waschtag. Die Frau, die dabei half, zog Wäsche durch die Wringmaschine, und Mutter saß da, ruhte sich aus und starrte durch die Fliegengittertür (sie war nie über Sandy hinweggekommen, was auch niemand von ihr erwartete). Char stärkte die Kragen von Vater. Er hatte einen Tabak- und Süßwarenladen am Marktplatz und trug jeden Tag einen frischen Kragen. Et erwartete eine Metamorphose wie bei dem Hintergrund, aber es fand keine statt. Char, schweigend und schlecht gelaunt über die Schüssel mit der Stärke gebeugt (sie hasste den Waschtag, die Hitze, den Dampf, die klatschenden Betttücher und das Gerumpel der Maschine – tatsächlich war ihr jede Art von Hausarbeit zuwider), trug auf ihrem wirklichen Gesicht dieselbe fast herablassende Harmonie zur Schau wie auf dem Foto. Dadurch begriff Et, irgendwie ein wenig ungern, dass Legenden auf realen Dingen gründen und dass diese Dinge zu Tage treten, wo und wann man es am wenigsten erwartet. Sie hätte beinahe gedacht, schöne Frauen seien eine dichterische Erfindung. Sie ging mit Char sonntags oft hinunter, um zuzuschauen, wie die Leute vom Ausflugsdampfer herunterkamen und sich zum Hotel hinauf begaben. So viel Weiß tat den Augen weh, die Kleider und Sonnenschirme der Damen, die Sommeranzüge und Panamahüte der Herren, ganz zu schweigen vom Glitzern der Sonne auf dem Wasser und der Kapelle, die spielte. Aber bei genauem Hinsehen fand Et an diesen Damen einiges auszusetzen. Lederne Haut oder dicke Hintern oder Hühnerhälse oder stumpfe Haarnester, wahrscheinlich mit Haarteilen aufgestockt. Et kannte keine Nachsicht, so jung, wie sie war. In der Schule wurde sie wegen ihrer Selbstbeherrschung und ihrer spitzen Zunge respektiert. Sie war diejenige, die es einem sagte, wenn man mit einem Loch im Strumpf oder zerrissenem Rocksaum an der Tafel gewesen war. Sie war diejenige, die die Lehrerin nachäffte (aber immer in einer sicheren Ecke des Schulhofs, außer Hörweite), wie sie »Die Grablegung von Sir John Moore« vortrug.
    Trotzdem hätte es ihr besser gepasst, eine dieser Damen schön zu finden und nicht Char. Es wäre angemessener gewesen. Passender als Char mit ihrer nassen Schürze und ihrem mürrischen Gesicht, über die Schüssel mit der Wäschestärke gebeugt. Et war eine Person, die keine Widersprüche mochte, nichts, was fehl am Platz war, nichts Geheimnisvolles oder Gegensätzliches.
    Sie mochte nicht die traurige Berühmtheit, die ihr durch Sandys Ertrinken anhaftete, mochte nicht, wenn die Leute sich daran erinnerten, wie ihr Vater den Leichnam vom Strand heraufgetragen hatte. Sie ließ sich in der Dämmerung sehen, schlug in ihrer Turnhose Rad auf dem Rasen des

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