Was ich dir schon immer sagen wollte
Wäscheblau. Das Erste, was ihr auf dem Regal in der Waschküche in die Hand gefallen war. Et kam am Nachmittag von der Schule nach Hause – sie hatte die Nachricht mittags erfahren, sogar von Char selbst, die lachend gesagt hatte: »Würde dich das nicht umbringen?« – und fand Char im Badezimmer vor, wo sie in die Toilette kotzte. »Hol das Medizinbuch«, sagte Char zu ihr. Ein schreckliches, unfreiwilliges Stöhnen drang aus ihr heraus. »Lies mir vor, was da über Gift steht.« Et ging stattdessen den Arzt anrufen. Char kam aus dem Badezimmer getorkelt, in der Hand die Flasche mit Chlorkalklösung, die hinter der Badewanne aufbewahrt wurde. »Wenn du nicht auflegst, trinke ich die ganze Flasche aus«, sagte sie in heiserem Flüsterton. Ihre Mutter schlief wahrscheinlich hinter ihrer geschlossenen Tür.
Et musste auflegen und in dem hässlichen alten Buch nachsehen, in dem sie vor langer Zeit über die Geburt und über Todeszeichen nachgelesen und erfahren hatte, dass man einen Spiegel vor den Mund halten muss. Sie nahm irrtümlich an, dass Char schon aus der Chlorkalkflasche getrunken hatte, also las sie alles darüber nach. Dann stellte sich heraus, dass es das Wäscheblau war. Über Wäscheblau stand nichts im Buch, aber das Beste schien zu sein, Erbrechen herbeizuführen, wie das Buch es für die meisten Gifte empfahl – was Char bereits getan hatte, das musste nicht herbeigeführt werden –, und dann einen Liter Milch zu trinken. Als Char die Milch schluckte, wurde ihr wieder schlecht.
»Ich habe das nicht wegen Blaikie getan«, sagte sie zwischen den Brechanfällen. »Denk das ja nicht. So töricht bin ich nicht. Ein Lump wie der. Ich habe es getan, weil ich das Leben satthabe.«
»Was hast du am Leben satt?«, fragte Et vernünftig, als Char sich das Gesicht abgewischt hatte.
»Ich habe diese Stadt satt und all die blöden Leute darin und Mutter und ihre Wassersucht und den Haushalt und jeden Tag große Wäsche. Ich glaube, ich muss mich nicht mehr übergeben. Ich könnte einen Kaffee vertragen. In dem Buch steht was von Kaffee.«
Et kochte eine Kanne, und Char holte zwei von den besten Tassen heraus. Sie fingen an zu kichern, während sie tranken.
»Ich habe Latein satt«, sagte Et. »Ich habe Algebra satt. Ich glaube, ich nehme Wäscheblau.«
»Das Leben ist eine Last«, sagte Char. »O Leben, wo ist dein Stachel?«
»O Tod. O Tod, wo ist dein Stachel?«
»Habe ich Leben gesagt? Ich meinte Tod. O Tod, wo ist dein Stachel? Entschuldige.«
Eines Nachmittags war Et bei Arthur, während Char Einkäufe machte und in der Bibliothek Bücher tauschte. Sie wollte ihm einen Eierflip machen und suchte in Chars Küchenschrank nach Muskatnuss. Bei der Vanille und der Mandelessenz und dem Rumaroma fand sie eine kleine Flasche mit einer seltsamen Flüssigkeit. Zinkphosphid . Sie las das Etikett und drehte die Flasche in den Händen. Ein Rodentizid. Also offenbar Rattengift. Sie hatte nicht gewusst, dass Char und Arthur von Ratten geplagt wurden. Sie hielten einen Kater, den alten Tom, der jetzt zu Arthurs Füßen schlief. Sie schraubte den Deckel auf und roch daran. Es roch selbstverständlich nach nichts. Es durfte auch nach nichts schmecken, sonst würden die Ratten nicht darauf hereinfallen.
Sie stellte die Flasche dahin zurück, wo sie sie gefunden hatte. Sie machte Arthur seinen Eierflip, brachte ihn herein und sah zu, wie er ihn trank. Ein langsames Gift. Sie erinnerte sich daran aus Blaikies alberner Geschichte. Arthur trank mit eifrigem Geräusch, wie ein Kind, mehr ihr zu Gefallen, dachte sie, als weil es ihm schmeckte. Er trank immer alles, was man ihm gab. Natürlich.
»Wie geht es dir denn so, Arthur?«
»Ach, Et. An manchen Tagen ein bisschen besser, und dann scheine ich zurückzufallen. Es dauert eben.«
Aber es fehlte nichts, die Flasche schien voll zu sein. Was für ein schrecklicher Unsinn. Wie etwas, das man gelesen hatte, bei Agatha Christie. Sie würde es Char sagen, und Char würde es ihr erklären.
»Soll ich dir etwas vorlesen?«, fragte sie Arthur, und er sagte ja. Sie setzte sich neben das Bett und las ihm aus einem Buch über den Herzog von Wellington vor. Er hatte selbst darin gelesen, aber seine Arme wurden zu müde, um das Buch zu halten. All diese Schlachten und Kriege und scheußlichen Dinge, was wusste Arthur von solchen Staatsaffären, warum interessierte ihn das so? Er wusste nichts. Er hatte keine Ahnung, warum die Dinge geschahen, warum die Menschen sich nicht
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