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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Hoffmann
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zwei weitere ausgestiegen waren, dann drückte er mich auf die Rückbank, Hand auf den Kopf, dann rein. Und er setzte sich neben mich, sein Bein ganz an meines gedrückt. Ich rückte ab, aber er rückte auf und zog mich am Arm zu sich heran.
    Woher kannst du Deutsch, fragte er nochmals, nun in mein Ohr flüsternd, so dass ich sein Bärtchen auf der Haut spürte. Drecksack.
    Ich schwieg.
    Wissen Sie, wie es in Herrenumkleidekabinen riecht, nach dem Sport, bei den Kickern? Bili ń ski kann es riechen, sofort, wenn er daran denkt, füllt sich das Zimmer mit diesem säuerlich dunklen feuchten Geruch, er schüttelt sich.
    Die kleine Schwester stutzt, sie wartet fragend, streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und schiebt sie mit dem Zeigefinger ins Haargummi. Bili ń ski ist ihrer Hand gefolgt und bleibt mit seinem Blick in ihrem Pferdeschwanz hängen, der wippt, wenn sie sich bewegt, und sich nun auf ihren Rücken biegt, fast bewegungslos und glänzend, wie nur Haare von jungen Frauen glänzen, so satt.
    Woher sollst du es auch wissen, sagt er. Er hört sein »DU«, er verbessert sich nicht. Er sagt: Da stinkt es ganz erbärmlich. Und so hat das gerochen in diesem Auto, nach Männerschweiß und Schweißfüßen und feuchten Kleidern und schlechtem Rasierwasser; ich habe, glaube ich, nicht geweint. Die Hand von diesem Dreckskerl ist vom Arm auf meinen Oberschenkel gerutscht und hat sich in mein Knie gekrallt, er lächelte mich an, und seine Hand lag fest und schwer auf meinem Bein, auf dem Weg in die Stadt. Ich hoffte so sehr, dass sie mir das glaubten mit den fünfzehn Jahren, dass sie mich in der Stadt aus dem Auto jagten, von mir aus soll er mit mir solang machen, was er will, dieser Wichser, habe ich gedacht.
    Marita gluckst.
    Ich kann das auch, hast du gemeint, ich kenne nur die Blümchensprache?
    Sie wehrt sich nicht gegen das »Du«, sie lacht, und er merkt, wie ihn das aufmuntert, zu erzählen.
    Hauptsache, er lässt mich gehen. Dachte ich.
    Er ließ meinen Schenkel nicht los, rubbelte ab und zu mit dem kleinen Finger leicht über den dünnen Stoff meiner Hose, als habe der Finger einen Tick, aber ich traute mich nicht zu sagen: Lassen Sie das!
    Bist ja schon über den Stimmbruch. Stimmbrrr-uch, wiederholte der, und ich wusste, sein Adamsapfel hüpfte nun wieder, er hatte so einen eckigen Adamsapfel, so einen knochigen Spitzberg am Hals, ich wollte das nicht sehen. Seine Hand wanderte dabei ein Stück weit meinen Oberschenkel hinauf und biss sich einige Zentimeter unterhalb meiner Leiste fest. Er spürt, wie schlimm das war, er spürt es noch am ganzen Leib.
    Fünfzehn, lachte der. Das schauen wir uns nachher doch mal an. Rrrrrr. Wirrrrr, rollt Bili ń ski, Pommerrrrrland ist abgebrrrrrannt.
    Die kleine Schwester springt auf, oh Gott, sagt sie.
    Man wird nach Ihnen rufen, wenn man Sie braucht, sagt er beschwichtigend, aber er weiß, dass das nicht stimmt, und spürt schon, jetzt ist sie weg. Sie rennt zur Tür, öffnet sie, bleibt zum Glück noch einmal stehen, schließt die Tür wieder und schaut ihn an. Sie will etwas sagen, das sieht Bili ń ski, und dass die Hand die Klinke wieder drückt.
    Sie sagt nichts.
    Inzwischen weiß er, sie kommt wieder, wenn sie den Scheinheiligen versorgt hat, nebenan.
    Scheinheiliger? Hat er sie gefragt, als er es das erste Mal gehört hatte.
    Ein Pfarrer. Dann ihr Lachen. Ihr Kopf, wie er dabei in den Nacken fiel, ihr Mund, weit geöffnet, die Zähne eine Perlenkette.
    Er liegt im Koma, seit einem Jahr. Um den Kopf herum wächst ihm ein Lockenkranz. Marita hatte wieder gelacht.
    Ihren Humor möchte ich haben, hatte Bili ń ski gesagt.
    Sie war nicht beleidigt gewesen, so richtig beleidigt war sie nie.
    Er ist nicht gerne alleine. Die Nacht und der Tod waren eins.
    Sie kommen wieder, oder, fragt Bili ń ski und winkt ab, sie ist schon draußen, sie ist schon weg.
    Er sieht sich in der Kammer neben dem Saal im Stadthaus stehen, hinter ihm an der Tür dieser elende Franke mit dem Arschgesicht, der jede seiner Bewegungen verfolgte. Langsam knöpfte Janek sein Hemd auf, oder tat wenigstens so, Zeigefinger und Daumen zitterten um die Knöpfe herum, tasteten sich am Knopf vorbei, nimm die zweite Hand dazu, dann geht’s schneller, sagte der Franke, und die zwei Finger tasteten sich wieder zum Knopf, der sich jetzt leicht öffnete, weil die zweite Hand das Hemd festhielt, viel zu schnell ging das. Er vermutete, es würde ihm besser gehen, der schwule Franke würde es ihm womöglich

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