Zicke
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Am letzten Tag unseres zehnten Highschool-Jahres mussten wir unsere Schränke ausräumen. Ich riss den Stundenplan ab, den ich zu Halbjahresbeginn innen an die Tür geklebt hatte, und warf ihn auf den Recyclinghaufen, wo schon fünfundneunzig Prozent des Mists lagen, für den ich mir das ganze Jahr den Arsch wundgesessen hatte. Wozu die ganze Büffelei, wenn das Zeug am Ende doch im Abfall landete? Das Einzige, was ich behielt, waren die Sachen aus dem Englisch-Leistungskurs. Ich würde es nicht zugeben, wenn man mich danach fragte, aber ich dachte, vielleicht würde ich doch irgendwann mal wieder einen meiner Aufsätze lesen wollen.
Zum Beispiel den einen von damals, als wir
Herr der Fliegen
durchgenommen hatten. Etliche Leute aus meiner Klasse hatten nichts geschnallt! Jeremy Walker hatte gefragt: »Warum haben sich die Jungs auf der Insel nicht einfach miteinander vertragen?« Darauf hatte sich natürlich sofort Caitlin Spinelli eingemischt: »Genau, wussten die denn nicht, dass ihre Überlebenschancen quasi viel größer gewesen wären, wenn sie sich nur zusammengetan hätten?«
Hallo?! Geh nur mal für drei Sekunden durch die |13| Flure deiner eigenen Schule, Spinelli: Wir
sind
Barbaren. Da stecken sie nicht die Köpfe zusammen, um besser miteinander klarzukommen. Da teilt niemand seinen Beliebtheitsbonus mit den Zukurzgekommenen. Da trägt keiner die Last des anderen, damit wir alle es über die Ziellinie schaffen. Zumindest sehe ich das so. Caitlin Spinelli mag eine andere Sicht auf die Dinge haben, wo sie doch alles im Übermaß besitzt, was sie für den Stamm der Überlebenden gebraucht hätte.
Jedenfalls hatte Mr North mit lila Tinte in meinen Aufsatz hineingeschrieben. Er benutzte rote Tinte, um Rechtschreibfehler und schräge Grammatik und so weiter zu korrigieren – wenn er einem aber nur sagen wollte, dass ihm etwas gefiel, dann nahm er Lila.
Deanna
, schrieb er,
du hast offensichtlich viel Bedeutsames zu sagen.
Viel Bedeutsames.
»Hey, Lambert!«
A propos Barbaren: Bruce Cowell und seine Bande von Möchtegern-Sportskanonen, die wegen Verhaltensproblemen und /oder der Einnahme illegaler Substanzen aus allen Schulmannschaften rausgeflogen waren, erschienen pünktlich zu ihrem wöchentlichen Dumpfbacken-Auftritt.
Bruce lehnte sich gegen die Schränke. »Du siehst geil aus heute, Lambert.«
»Jep.« Tucker Bradford, schlaff und rotgesichtig, kam näher. »Ich glaube, deine Titten sind dieses Jahr größer geworden.«
|14| Ich kramte weiter in den Schranksachen und schabte eine noch von Weihnachten stammende Zuckerstange von einem meiner Ordner. Dies war der letzte Schultag, sagte ich mir, und außerdem waren diese Typen Zwölftklässler. Wenn ich die nächsten fünf Minuten überstand, musste ich sie nie wieder sehen.
Allerdings können fünf Minuten ganz schön lang sein – und ich kann manchmal einfach nicht die Klappe halten.
»Kann sein«, sagte ich und deutete auf Tuckers
Brust. »Aber meine Titten sind immer noch nicht so groß wie deine.«
Bruce und seine Lakaien, die aus einigen Metern Entfernung zusahen, lachten; Tucker wurde noch röter, falls das überhaupt möglich war. Er beugte sich mit seinem ekligen Energy-Drink-Atem zu mir herüber. »Ich weiß nicht, wofür du dich aufsparst, Lambert.«
Das ist es eben: Pacifica ist eine dumme kleine Stadt mit nur einer richtigen Highschool, wo jeder jeden kennt und die Gerüchte nie verstummen, bis ein anderer Schüler so blöd ist, etwas zu tun, was eine noch bessere Story hergibt. Aber meine Story hatte die Ehre, seit zwei Jahren ununterbrochen die Spitze zu halten. Na ja, ein Zwölftklässler, der mit offener Hose über einer Achtklässlerin erwischt wird, und zwar vom
Vater
des Mädchens (»Ist nicht wahr! Ihr
Vater
? Ich würde mich umbringen!«) war ziemlich schwer zu toppen. Diese Story machte in den Fluren und Umkleideräumen und auf Partys und Hinterbänken die Runde, seit Tommy am Morgen danach wieder in der |15| Schule aufgetaucht war. Da erzählte er nämlich alles haarklein seinen Freunden, obwohl er wusste, dass ihm mein Bruder Darren dafür in den Arsch treten würde (was er auch tat).
Als ich nach Terra Nova in die Neunte kam, glaubte also die gesamte Schule bereits alles zu wissen, was es über Deanna Lambert zu wissen gab. Jedes Mal, wenn mir jemand ins Gesicht sah, wusste ich, dass er daran dachte. Und das wusste ich, weil ich jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sah, selbst daran dachte.
Als Tucker
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