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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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Sonntag kommt Urs zu Besuch. Sie freuen sich sehr auf seinen Besuch und
haben schon vor Wochen abgemacht, den Tag am See zu verbringen. Jetzt hat sich aber auch Iffi angemeldet, und die will auf keinen Fall an den See. Man munkelt, dass sie irgendeine Phobie hat. Jemand aus der Familie hat auch Andeutungen in Richtung Hautkrankheit gemacht, aber nichts Genaues weiß man nicht. Jedenfalls ist nun alles wieder offen, dabei hatte man doch alles so gut geplant und sogar schon eingekauft. Einerseits kann man Iffi auf keinen Fall nötigen, mit an den See zu kommen, andererseits wird die Enttäuschung der Kinder groß sein, wenn man den Ausflug jetzt wieder, ich zitiere: »cancelt«. Zumal man ja auch schon das Schlauchboot von den Beckers ausgeliehen und gesäubert hat, wie das aussah!
    Ich und der Rest des Abteils starren in unsere Zeitungen. Ich bin mir sicher, dass sich keiner auf den Text konzentrieren kann.
    Dass das Telefonat sich endlich dem Ende zuneigt, bemerkt man daran, dass Kwioteks Stimme immer höher wird. Innerhalb weniger Sätze schwingt sie sich eine ganze Oktave nach oben und wird dabei immer leiser und sanfter. »Oki-doki … Ja, kriegen wir hin … Ja, ich ruf den Urs mal an … Ich kümmer mich, Schatz … Schönen Tag … ich dir auch … ja … ja … ich dich auch … tschüü-hüüüüs …«
    Dann spitzt er die Lippen und macht ein Kussgeräusch in den Hörer.
    Der Mann gegenüber schaut mich fassungslos an. Der knirschende Lederschuh vergräbt auffällig unauffällig das Gesicht in den Händen, die ältere Dame grinst aus dem Fenster. Wenn man in einem Lexikon nach dem Begriff »Fremdscham« sucht, müsste dort eigentlich diese Situation geschildert werden. Kwioteks Gesicht verfärbt sich von rosa zu rot, was ihm sein letztes bisschen Würde raubt. Er
sieht jetzt aus wie ein Fünfjähriger, der sich vor Publikum in die Hose gemacht hat.
    Das Peinlichste auf der Welt ist, wenn man seine peinliche Scheißbeziehung wildfremden Menschen offenbaren muss und man sich der Peinlichkeit dessen voll und ganz bewusst ist, man aber nicht anders kann, weil es der Person am anderen Ende der Leitung herzlich egal ist, dass man gerade in einem überfüllten ICE sitzt - »Schatz, da kann ich doch nichts für! Warum nimmst du für deine Geschäftsreisen denn auch nicht den Dienstwagen?« - und sich nicht traut, sie abzuwürgen - »Jetzt hör mir mal zu, wenn wir uns schon kaum sehen, ist Telefonieren ja wohl das mindeste! Oder ist das jetzt auch schon zu viel verlangt?«
    Kwiotek widmet sich schnell wieder seinem Textmarker und seinen Unterlagen.
    Ich gehe noch eine rauchen.

    Der Rhein ist viel breiter als die Spree, und der Kölner Dom ist viel größer als der Berliner Dom. Am Dach des Hauptbahnhofs glitzert ein goldenes 4711-Logo im Sonnenschein. Echt Kölnisch Wasser. Bei dem Gedanken an diese nach Omahandtasche müffelnde Suppe wird mir ein bisschen schlecht.
    Laut quietschend fährt der Zug auf Gleis sechs ein. Er hat fast dreißig Minuten Verspätung, weil wir so lange im Bahnhof von Hamm/Westfalen standen. Es war von »verehrten Fahrgästen« und »Oberleitungsschaden« und »bitten vielmals um Entschuldigung« die Rede. Meinen Anschlusszug dürfte ich damit verpasst haben. Ich würde gerne den Schaffner danach fragen, aber er ist nirgends zu sehen.
Wahrscheinlich hat er sich aus Angst vor Lynchjustiz irgendwo verbarrikadiert, denn die Stimmung unter den Fahrgästen ist explosiv. Genau wie die Luft im dicht gedrängten Gang, in dem sich die Bullenhitze mit menschlichen Ausdünstungen aller Art vermischt. Die Leute drängeln sich dort schon seit zehn Minuten, schieben und schubsen, als würde der Zug dadurch eher den Bahnhof erreichen.
    Schließlich drücken sie sich gereizt durch die schmalen Zugtüren und fallen wie schwer bepackte Insekten auf den Bahnsteig, wo sie sich hektisch zu orientieren versuchen, um dann zu den Rolltreppen zu hasten und sich gegenseitig ihre Rollkoffer in die Hacken zu rammen.
    Wie viele zerschredderte Knöchel wohl auf das Konto der Trolley-Industrie gehen, das müsste man eigentlich mal untersuchen.
    Â»Meine Damen und Herren. Herzlich willkommen in Köln, Hauptbahnhof. Ihre folgenden Reisemöglichkeiten …«
    Ich höre nicht hin. Mein Zielbahnhof heißt Reil/Mosel, es erscheint mir

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