Was kostet die Welt
Himmel wie nichts Gutes. Der M41 ist voll besetzt. Ich habe meine Reisetasche auf den Knien, das Hemd klebt mir am Rücken. Ich hätte ein Taxi nehmen sollen.
An der Zossener StraÃe setzt sich ein ganz in Weià gekleideter Kerl neben mich. Das aggressive Aroma billigen Parfüms umhüllt ihn wie ein ätzender Schutzschild. An den Schläfen hat er sich ein gezacktes Muster in die sauber geschorenen Haare rasieren lassen. Darüber sitzt falsch herum eine groÃe weiÃe Mash Cap. Es sieht aus, als hätte man sie ihm ganz vorsichtig von oben auf den Kopf gelegt. Die müsste eigentlich bei jeder kleinsten Erschütterung herunterfallen. Vielleicht ist sie an zwei strategisch wichtigen Punkten mit Sekundenkleber befestigt, oder mit besonders starkem Haarspray. Oder mit seinem Parfüm, welches durchaus den Verdacht nährt, dass dort hochwirksame Klebstoffe im Spiel sind.
Der Rhythmus eines Snoop-Dogg-Songs erklingt aus seinem Telefon. »Gz and Hustlas«. Ganz gute Bassline eigentlich. Anfang des Jahres habe ich in einem Club in Barcelona mit einer süÃen Katalanin dazu getanzt. Sie hatte ein paar lustige Pillen dabei, und als es hell wurde, gingen wir zu ihr nach Hause. Am nächsten Morgen hatte ich das Gefühl, sie habe das nur getan, um fortan eine billige Unterkunft für ihre Easy-Jet-Rave-Trips nach Berlin zu haben. Was mich aber
nicht weiter störte, weil ich eine gute Nacht von ihr und sie eine falsche Telefonnummer von mir bekommen hatte.
Ich würde den Song gerne noch länger hören, aber noch bevor Snoops Gesang einsetzt, hat Stinki abgenommen. »Tarek, du Opfer, alles fit?«
»Abgeordnetenhaus«, sagt die mechanische Haltestellenansagerin.
»Bitch!«, ruft Stinki in Richtung Haltestellenanzeige. Und dann, in sein Handy: »Nicht du, Alter! Ich bin im Bus, mach nur bissken SpäÃken, verstehste.«
Im folgenden Gespräch geht es um die Themen »Gestern«, »Schabracke« und »Lochschwager«.
»Potsdamer Platz, VossstraÃe«, sagt die Haltestellenstimme.
»Fotzdamer Platz, FotzstraÃe!«, ruft Stinki.
Eine ältere Dame gegenüber blickt ihn angewidert an. Ihre Augen sind glanzlos und müde, aber es ist eine Art von Müdigkeit, die noch Platz lässt für Abscheu und Ekel.
Im Tunnel unter dem Tiergarten hoffe ich auf ein Funkloch, doch es kommt keins. Ich erinnere mich daran, dass ein Taxifahrer mir mal erzählt hat, der Tunnel sei voller Funkmasten, für Notfälle oder telefonierende Beamte aus dem Regierungsviertel oder weià der Geier. Und dann fällt mir auch noch auf, dass ich meinen iPod zuhause liegen lassen habe.
Kacke.
Ich habe keine Platzreservierung, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass der ICE an einem normalen Wochentag so voll sein würde. Also muss ich mit einer älteren Frau und drei Männern in einem engen, stickigen Abteil sitzen.
Zwei der drei Männer sind Geschäftsleute, deren Firmen offensichtlich nicht gewillt sind, Erste-Klasse-Tickets zu zahlen. Sie tragen trotz der brüllenden Hitze Anzug und Krawatte. Der eine trägt laut knirschende Lederschuhe, in denen er unentwegt mit seinen Zehen rumspielt. Der andere hat ein weiches, rosafarbenes Gesicht und kurze blonde Locken. Als sich der Zug in Bewegung setzt, kramt er Lesebrille, Textmarker und Unterlagen aus seinem Aktenkoffer und beginnt zu arbeiten. Ein fleiÃiges Kerlchen.
Ich gehe erst mal aufs Klo, eine rauchen.
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Mit mehr als zweihundert Stundenkilometern schieÃt der Zug durch die flache Ebene. Wiesen und Wälder. Eine langweilige Landschaft. Irgendwo da drauÃen war mal eine Grenze. Ich habe sie nie passiert.
Ich überfliege eine Tageszeitung, die ich auf der Gepäckablage gefunden habe. Man kann den kompletten Inhalt der Zeitung so zusammenfassen: Es ist nichts Interessantes passiert in letzter Zeit, und es sieht auch nicht so aus, als ob sich das in naher Zukunft ändern wird.
Die Melodie von »Für Elise« ertönt.
Das fleiÃige Kerlchen legt den Textmarker zur Seite und fischt ein aufklappbares Handy aus seiner Innentasche.
»Kwiotek.«
Elise ist das nicht am anderen Ende der Leitung. Die Frau, die da aufgeregt in den Hörer plappert, klingt eher wie Miss Piggy. Kwiotek kommt kaum zu Wort. Und wenn, dann klingt er tatsächlich wie Miss Piggys Verehrer, der knödelnde Kermit, jammernd und kleinlaut.
Das Problem der beiden ist folgendes: Am
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