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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sehen, ob er eine der Sprachen als seine eigene wiedererkennen würde. Wir berieten über diesen brillanten Einfall. Der Priester wollte es nur dann mit Neapolitanisch versuchen, wenn er auch Latein reden dürfe – dagegen hatte niemand etwas einzuwenden. Der Spanier brummte, er sei teilweise auch des Portugiesischen mächtig.
    Doch warum benachrichtigte man nicht einfach die Konsuln unserer Länder?, wandte der Kaufmann aus Königsberg ein. Nur ein offizieller Vertreter seiner Majestät des Königs von Preußen dürfe jemanden als Landeskind anerkennen.
    Genau das sei das Problem, seufzte der Gouverneur. Würde man sich direkt an die Landesvertreter wenden, bliebe nur noch der offizielle Weg. Was aber, wenn sich zwei Konsuln um den weißen Wilden zu streiten begännen? Oder wenn einer von ihnen daran Anstoß nähme, dass dieses nackte und tätowierte Subjekt sein Landsmann sein solle? Allgemeine Verlegenheit, Proteste, Depeschen, Berichte in die verschiedenen Hauptstädte … Das Durcheinander könnte Jahre andauern, ein Streitpunkt zwischen den Kolonialmächten werden, es würde kein Ende nehmen … Deshalb habe er dieses inoffizielle Treffen einberufen, um in Absprache mit den ausländischen Eliten eine Entscheidung zu fällen.
    Ich gestehe, als ich an dem Tisch des Gouverneurs saß, empfand ich – neben Bewunderung für das politische Geschick unseres Gastgebers – nichts als Neugier. Der weiße Wilde war also keine Legende, kein bloßer Scherz. Ich brannte darauf, ihn zu sehen und mehr über ihn zu erfahren. Vielleicht würde er Stoff für eine unterhaltsame Anekdote abgeben, die man dann später in den Pariser Salons zum Besten geben könnte. Das Paradox eines weißen Wilden würde die Herren amüsieren und die Damen erschaudern lassen.
    Der Gouverneur erteilte einem hochgewachsenen jungen Mann das Wort, der offenbar Angst hatte, vor der Versammlung zu sprechen.
    «Wie angeordnet, habe ich den Unbekannten, welchen man den weißen Wilden nennt, untersucht. Er ist ungefähr fünfzig Jahre alt und misst fünf Fuß und sechs Zoll. Obgleich von geringem Körpergewicht, ist er bei guter Gesundheit. Sein Rumpf, seine Schultern, seine Arme und Oberschenkel sind mit Tätowierungen und Hautritzungen bedeckt.
    Mir sind zwei schlecht verheilte Wunden aufgefallen: eine am linken Ohr, dessen Ohrläppchen zerfetzt und halb abgerissen ist, und eine in der Mitte des rechten Oberschenkels. Letztere könnte von einem Dolch oder einer Speerspitze stammen.»
    Während seines Berichts schien der junge Arzt an Selbstvertrauen zu gewinnen und blickte von seinen Aufzeichnungen auf.
    «Er gehört weder der schwarzen noch der gelben Rasse an. Das ist aufgrund seiner Hautfarbe, seines Körperbaus und seines Haartyps mit Bestimmtheit auszuschließen. Er gehört auch nicht zu den Semiten, das erkennt man an seiner hohen Stirn, der geraden Nase, dem braunen, glatten Haar und dem kräftigen Bartwuchs. Er ist beschnitten, das muss ich hier betonen, aber nach Art der Einheimischen dieses Landes und nicht wie ein Jude oder Mohammedaner.»
    Dieses peinliche Detail wurde mit allgemeinem Räuspern aufgenommen.
    «Seine ganze Erscheinung legt mithin nahe, oder besser gesagt, sie macht ganz klar deutlich, dass er der weißen Rasse angehört. Er scheint intelligent zu sein: Wenn man ihn anspricht, hört er zu, äußert mithilfe von Gesten elementare Gefühle und gehorcht Anweisungen: aufstehen, herkommen, eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Auf Stimmlagen reagiert er sehr sensibel: Freundlichkeit, Wut, Angst oder Schmerz rühren sein Interesse und Mitgefühl.
    Er spricht nicht. Englisch versteht er nicht. Die Matrosen der John Bell, jenes Schiffs, auf dem man ihn hergebracht hat, haben ihn in einer unverständlichen Sprache jammern gehört. Nur bedeckt mit dem Tuch, das man ihm gegeben hat, verbringt er seine Tage auf den Fersen hockend, die Ellbogen zwischen die weit geöffneten Schenkel geklemmt.
    Unser Essen schmeckt ihm nicht, er nimmt es widerwillig zu sich und nur, um nicht vor Hunger zu sterben. Er isst mit den Fingern, trinkt aus der Hand und weiß nichts mit einem Glas oder Löffel anzufangen. Brackiges Wasser macht ihm nichts aus, doch hat er voller Ekel den Wein, den ein Soldat ihm zum Scherz anbot, ausgespuckt.»
    Dies ist also der erste Bericht, den ich über den weißen Wilden vernommen habe, und ich hielt es für angebracht, Ihnen diesen, verehrter Herr Vorsitzender, in seiner ganzen Länge wiederzugeben. Während der

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