Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
[ 1. ]
Ich rührte ein Stück eiskalte Butter in die Fischsauce. Gismo sah interessiert zu. Der Duft des Branzino trieb mir das Wasser im Mund zusammen. „Du kriegst die Gräten“, versprach ich meiner Katze.
Das Telefon läutete. Ein paar Beschäftigungen gibt es schon, bei denen ich nicht unterbrochen werden will. Eine davon ist Kochen. Ich ignorierte das Geklingel. An diesem Abend hatte ich mir Ruhe und ein gutes Essen verdient. Die Serie „So wohnen Österreichs Prominente“ war abgeliefert. Meine gemütliche Küche hatte so gar nichts von dem bemühten Hochglanz, den ich in den meisten der Promi-Wohnungen gefunden hatte. Ob sie immer so lebten? Ob sie sich extra für meine Story Mühe gaben, ihre Wohnungen aussehen zu lassen wie Ausstellungskojen in einem Einrichtungshaus? Eigentlich war es mir egal. Als Lifestyle-Journalistin zu arbeiten hat Vorteile. Einer davon ist, dass sich die meisten Aufträge ohne allzu großes Engagement erledigen lassen.
Es läutete immer noch. Zwei Minuten, mehr nicht, schwor ich mir und nahm den Hörer ab.
„Ich bin’s, Ulrike“, klang es atemlos vom anderen Ende.
Ulrike? Ich konnte mich an keine Ulrike erinnern.
„Ja?“
„Ich weiß nicht, wer mir sonst helfen kann. Du musst kommen, sofort, du hast ja Erfahrung mit solchen Dingen.“
Das brachte mich auch nicht weiter. Ich schwieg.
„Ulrike, deine Schulfreundin, wir haben uns beim Klassentreffen …“
Ulrike, mit der ich sogar einige Jahre in einer Bank gesessen war. In einem Mädchengymnasium, an das ich mich nicht mehr so genau erinnern wollte. Zwanzig Jahre Abstand. Daran konnte auch kein Klassentreffen etwas ändern.
„Bei uns liegt eine Tote. Und ich bin ganz allein. Die Polizei habe ich schon angerufen. Aber weil du ja mit den Volksmusik-Morden zu tun gehabt hast …“
„Wo ist das, bei ‚uns’?“
„Im Freud-Museum. Ich arbeite im Freud-Museum. Das habe ich dir ja erzählt.“
„Wo ist das?“
„Du warst noch nie im Freud-Museum?“
Ich fand, es war nicht der Zeitpunkt, um über meine Bildungslücken zu diskutieren. Ich drehte die Gasflamme ab, stellte die Pfanne noch warm in den Kühlschrank, ignorierte Gismos beleidigten Blick und lief wenig später die acht Treppen von meiner Altbauwohnung nach unten. Eine Tote im Freud-Museum. Mein kleiner Fiat stand zum Glück nur ein paar Meter vom Hauseingang entfernt. Vor meinem inneren Auge sah ich eine Frau auf Freuds Couch liegen, mit leeren Augen, einer dramatischen Fülle von langem, rotem Haar, das sich mit dem Weinrot der Liege schlug, und einem Einschussloch mitten auf der Stirn. Ich sollte meine Phantasie zügeln. Es war viel wahrscheinlicher, dass eine alte Amerikanerin einen Herzanfall bekommen hatte. Egal, ich würde sehen, ob ich meiner Schulfreundin helfen konnte. Und wenn zu meiner Motivation auch etwas Sensationsgier und ein klein wenig berufliches Interesse gehörte, was war dabei? Mein schöner Branzino in eigener Sauce. Eigentlich war ich ja für ein bequemes, beschauliches Leben.
Ulrike erwartete mich schon am Eingangstor zum Museum.
„Ich habe es nicht mehr ausgehalten mit der Toten allein. Die Polizei ist noch immer nicht da. Und ich muss dich ohnehin hereinlassen. Das Tor ist zugesperrt, man kann natürlich auch mit der Gegensprechanlage öffnen, aber …“
Ich folgte meiner verstörten Schulfreundin in den ersten Stock. Ein gutbürgerliches Stiegenhaus, etwas eleganter als das in meinem Wohnhaus, aber durchaus vergleichbar. Sie schloss die Museumstüre auf.
„Sie liegt im Vorzimmer.“
Ich sah mich um. „Wo?“
„Nicht im Museumsvorzimmer, in Freuds Vorzimmer. Komm.“
Lindgrünes Holz, Bastbespannung an der abgewohnten Garderobe, einige Hüte und Mützen, ein Spazierstock. Der Raum sah aus, als hätte ihn Doktor Freud gerade eben für einen kurzen Besuch bei einem Patienten verlassen. Ulrike stand hinter mir und flüsterte: „Da ist sie.“ Auf dem ledernen Überseekoffer an der Schmalseite des Vorzimmers saß eine schlanke junge Frau in Jeans, einem blauen Sweatshirt und Turnschuhen. Sie schien auf ihn zu warten. Ihr Kopf war nach vorne gesunken, offenbar war ihr die Zeit zu lang geworden. Die blauen und grünen Teile des butzenscheibenartig zusammengesetzten Glasfensters hinter ihr zauberten Lichtreflexe auf ihren brünetten Pferdeschwanz. Die Arme lagen locker rechts und links vom Körper, sie schienen sie in ihrem Schlaf zu stützen. Neben ihr stand ein kleiner Rucksack, gelb und mit Sicherheit um Jahrzehnte
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