Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
die Schotten eines Schiffs, das seine Kanonen eingezogen hat?
In der Nacht, als er eingerollt in einer Sandmulde liegt und sich nicht mehr bewegt, denkt er an den Tod.
Am Morgen, als ein neuer Tag, endlos lang und einsam und nicht anders als der letzte, ihn bedroht und zermalmt, denkt er an den Tod. Was hat Durchhalten für einen Sinn? Wozu den Alltag ertragen?
Und dann wieder am Mittag. Und wieder am Abend.
Und wenn ihm der Tod nur immer freundlich zuwinkt, aber niemals kommt, soll er dann die Begegnung mit ihm suchen? Weder weiß er, ob er die Kraft dazu hätte, noch, wie ihm das gelingen soll. Mit Essen und Trinken aufzuhören, erfordert eine Willenskraft, die er nicht mehr besitzt. Er träumt von einer schnellen Reise ohne Rückkehr.
Er könnte ganz nach oben auf einen Berg oder Baum klettern und sich, falls sie hoch genug wären, kopfüber in die Tiefe stürzen. Ja, er sieht diese Szene vor sich, wie er ein paar tänzelnde Bewegungen andeutet, ehe er sich hingibt und mit ausgebreiteten Armen den Himmel umarmt. Soll die Alte doch versuchen, mit ihren Heilmitteln seine Überreste zusammenzuflicken, soll sie das Lächeln auf seinem toten Gesicht ruhig bemerken, sich über seine großen Augen wundern, die jetzt lachen und sie niemals mehr ansehen werden.
Und wenn es schiefgeht? Wenn die Höhe nicht ausreicht oder weicher Boden ihn scheitern lässt und er für den Rest seiner unglückseligen Tage als Krüppel dem Stamm hinterherhinken muss?
Nein, es muss ihm gelingen. Vielleicht eine Pflanze mit giftigem Saft, eine Muschel mit vergiftetem Stachel? Er kennt sie noch nicht, aber er würde unweigerlich lernen, die zu erkennen, die man unvorsichtigen Kindern wegnimmt, und aus denen er im rechten Augenblick das süßeste aller Mahle bereiten wird.
Warum noch länger warten? … Sich unter einen Baum setzen und sich mit einer der kleinen bläulichen Muscheln, mit denen er Fischen mittlerweile gekonnt die Haut abzieht, die Pulsadern aufschneiden. Ein kleiner Schnitt, da, wo die Handfläche anfängt, an der rechten und an der linken Hand, und alles Leben würde langsam im Sand versickern. Er würde einschlafen, vielleicht würde es ihn frösteln,aber das wäre alles. Wenn nicht ein Wilder ihn ganz am Anfang entdeckt, würden sie nichts weiter feststellen können, als dass er entschlafen ist.
Oder, besser noch, er, der im Meer den Tod finden sollte, könnte wie gewöhnlich ins Wasser gehen, Waiakh freundlich zuwinken und dann so weit hineingehen, bis seine Füße keinen Grund mehr spürten, mit Armen und Beinen rudernd hinausschwimmen wie ein kleiner Hund, dabei spüren, wie die erste Welle über seinen Kopf hinwegspült, bald darauf die zweite, aber unerschrocken weiterziehen, den verschwommenen Umrissen des Schiffs entgegen, zu den gerade noch sichtbaren Masten draußen vor der Bucht.
Vierzehnter Brief
La Rochelle, 13. Dezember 1867
Monsieur le Président,
wie viel Willensstärke braucht es festzustellen, dass einem nach zehn Jahren Lebenszeit nur die bittere Gewissheit bleibt, gescheitert und vergeblich umhergereist zu sein?
Ich habe versucht, meine Überlegungen zu dem, was ich Adamologie getauft und von dessen Entstehung ich Ihnen ebenso naiv wie voreilig erzählt habe, zu ordnen. Ich habe viel gelesen, viel geschrieben und viel den Flammen übergeben. Meinem Vorhaben stellten sich unzählige theoretische und praktische Schwierigkeiten in den Weg. Ich habe das Gefühl, dass ich einen viel zu hohen Berg besteigen wollte, während mir reißende Bäche und Gletscher den Aufstieg verwehrten.
Unberührte Berggipfel begrenzen den Horizont, den ich von der Terrasse meines Schlosses aus betrachte. Es kommt mir vor, als wäre die Adamologie ebenso weit entfernt wie jener.
Ich habe mich auch in mir selbst getäuscht. Ich bin kein in Systemen denkender Mensch. Es gelingt mir nicht, Ahnungen und intellektuelle Begeisterung in fundierte und sorgfältig begründete wissenschaftliche Theorien zu verwandeln. Ich hoffe, dass andere diesem Weg weiter folgen und zu neuen Erkenntnissen und Ruhm gelangen werden.
Werde ich wenigstens derjenige sein, der das Geheimnis um Pelletier gelüftet hat? Leider nicht.
Als ich die Nachforschungen fortführte, die Sie in Bezug auf ähnliche Fälle bereits begonnen hatten, entdeckte ich einige weitere vergessene Dramen. Und zwar nicht infolge von Schiffbrüchen, hier gibt Ihr Bericht sehr erschöpfend Auskunft, sondern infolge von Menschenraub und Überfällen, also auf festem Boden.
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