Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
werden.“
Einer, der genauer wissen wollte, bei welchen Schwellen die Dinge ins Rutschen geraten und Meinungen oder Stimmungen in der Gesellschaft umschlagen, ist Thomas Brudermann, Wirtschaftspsychologe an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er knüpft mit dem Begriff der Massenpsychologie an die ältere Tradition an und revidiert sie zugleich, gingen die klassischen Autoren doch häufig von einem eher diffusen Begriff der Masse aus. Dagegen hat Brudermann komplexe Computersimulationen entwickelt, um die Dynamik der Massenpsychologie genauer zu erforschen.
In seinen Simulationen verwendet er das aus der Epidemiologie stammende Modell von Ansteckung und Übertragung, um gesellschaftliche Prozesse zu verstehen. Die Viren sind hier die Ideen und Überzeugungen, die in den Köpfen und den Medien herumschwirren und weitere Menschen „infizieren“ können. Doch nicht jeder lässt sich von jeder beliebigen Idee anstecken. Besondere Aufmerksamkeit legte Brudermann deshalb auf die Reizschwelle, also die psychologische Empfänglichkeit für eine bestimmte Idee. Wer ist unter welchen Umstände offen für eine spezifische Meinung? Fundamentale Christen sind schwieriger davon zu überzeugen, dass Homosexuellen ein Recht auf Ehe zustehen sollte, und Kettenraucher werden sich kaum für ein Rauchverbot in Gaststätten erwärmen. Sie sind sozusagen immun und stecken weniger Nachbarn mit dieser Idee an. Brudermann variierte den Wert dieser Reizschwelle und beobachtete im Verhalten seiner Simulationen erstaunliche Ergebnisse. Sank die durchschnittliche Reizschwelle auf Werte um 40 Prozent, waren also 60 Prozent empfänglich für eine Idee, dann stieg der Verbreitungsgrad mit einem Mal rapide an und das Ideen-Virus konnte sich nahezu im gesamten System ausbreiten.
Trotzdem müssen die Ideen irgendwo und irgendwann ihren Ausgang nehmen, es braucht eine Initialzündung oder einen Urknall. Kleine Ursachen können sich schnell auswachsen und große Wirkungen entfalten. Auch wenn Brudermanns 40 Prozent ein interessanter Richtwert sind, bringt die Dynamik in komplexen Systemen unerwartete Sprungstellen hervor, sogenannte Bifurkationen, von denen an das System in einen völlig anderen Zustand gerät. Die Verbreitungsmöglichkeiten via Internet haben die kritische Reizschwelle gesenkt. Oft kommen Trends heute aus unerwarteten Richtungen und haben mitunter überraschende Auslöser – so wie das Ehec-Virus, das Deutschland Mitte 2011 in Atem hielt, von biologisch angebauten Sprossen stammte.
Das sogenannte virale Marketing versucht, sich die Mechanismen kaskadenartiger Verbreitung und memetischer Ansteckung zunutze zu machen und sie gezielt anzustoßen. Gelingt es, die Reizschwelle zu überwinden, kann die Kampagne zum Erfolg führen. So begann etwa der Siegeszug der Bionade, 1995 nach langjähriger Entwicklung von einer kleinen Brauerei an der Rhön am Markt lanciert, in Hamburger Szenekneipen. Angesichts eines sehr begrenzten Marketingbudgets hatte man die Journalisten der in Hamburg erscheinenden Wochenzeitungen und -magazine als wichtige Multiplikatoren identifiziert. Und als außerberufliche Szenekneipengänger frequentierten sie genau diese Orte. Die Rechnung ging auf, und das Bionade-Virus hat sich flächendeckend ausgebreitet – mittlerweile bis zu McDonald’s.
Natürlich spekulieren auch wir auf diesen Effekt, um das Wissen um Zahlenpsychologie und -symbolik über den Kreis der early adopters hinaus zu verbreiten , zu dem Sie als ausdauernder Leser dieses Buches nun zweifellos gehören. Deshalb haben wir unter facebook.com/6wissen eine Facebook-Seite zum Buch eingerichtet. Dort wollen wir unser Wissen und unsere Empirie zum Thema um Aspekte anreichern, die ohnehin nicht mehr in dieses Buch gepasst hätten. Leser, Nicht-Leser, Zahlenfreunde und -feinde sind aufgerufen, uns Feedback zu geben, ihre individuellen Idiosynkrasien, Observationen und Begegnungen mit bemerkenswerten Zahlen zu schildern und über ihre Lieblingsziffer abzustimmen. Auch wenn Dunbars Zahl von 150 Facebook-Freunden mittlerweile längst überschritten sein dürfte, hoffen wir als Moderatoren dennoch, die Übersicht zu behalten, und vertrauen ansonsten auf die spontan-emergente Selbstorganisation eines intelligenten Netzwerkes. Bei Redaktionsschluss war die Lieblingsziffer unserer Online-Umfrage übrigens mit großem Abstand die 7 – some things never change . Überraschender Zweitplatzierter war nicht, wie wir getippt hätten, die 3, sondern die 8, dicht
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