Was soll denn aus ihr werden?
du denn? Sieh, ich bin unten in Pallanza mit meinem Vater, da bleibe ich wohl noch, bis es zu heiß wird. Kommst du nie dort hinunter?«
»O nein, so weit weg habe ich nichts zu tun«, entgegnete das Kind, »und ich bin den ganzen Tag mit dem Vater. Alle Morgen gehe ich mit ihm zur Kapelle hinunter, oder bis zum alten Turm, oder hier herauf unter die Kastanienbäume und noch höher, wo man auf den See und an die Berge hinübersieht. Wo es dann dem Vater am besten gefällt, da sitzen wir nieder und er fängt an zu malen, denn ich habe ihm alles, was er braucht, im großen Sack nachzutragen und er trägt den Schirm und den großen Stock, den man dann in die Erde steckt, damit der Schirm darauf festhält. Nur am Sonntag sitzt der Vater draußen auf der Terrasse, wo die Blätter so schön im Sonnenschein auf dem Boden hin- und herwehen. Dann liest der Vater vor und die Mutter und ich hören zu.«
»Erzähl mir noch ein wenig weiter«, sagte die junge Dame, die mit Wohlgefallen den Worten des Kindes gefolgt war. »Wenn nun der Vater draußen unter seinem Schirm sitzt, siehst du dann zu, wie er malt, oder malst du auch?«
»O nein, das kann ich gar nicht«, wehrte das Kind. »Dann muß ich ihm vorlesen, und dann sing ich ihm auch wieder und manchmal singt er mit; er hat mich viele Lieder gelehrt.«
»Was kannst du denn für Lieder?« wollte das Fräulein wissen. »Willst du mir eines singen?«
Bereitwillig stimmte das Kind sogleich an:
»Rote Wolken am Himmel,
In den Tannen der Föhn,
Und ich freu' mich, ja ich freu' mich.
Ist der Morgen so schön.
Rote Beeren am Hügel,
Wilde Rosen im Hag,
Und ich freu'mich, ja ich freu' mich
Am sonnigen Tag.
Sie sagen, der Herbst kommt –«
»Nein, das sing ich nicht gern, ich will den letzten Vers singen«, unterbrach sich das Kind.
»Sing doch den auch, mir zuliebe, daß ich das ganze Lied kenne«, bat das Fräulein.
Das Kind sang weiter:
»Sie sagen, der Herbst kommt
Und das Blatt fällt vom Baum,
Und die Freude, ja die Freude
Verweht wie ein Traum.
Kommt der Herbst und kommt der Winter,
Weiß ich doch noch ein Glück,
Ein jeder neue Frühling
Bringt die Rosen zurück.«
»Ich höre dich gerne singen, dein Vater hat dir gewiß gut vorgesungen«, sagte das Fräulein. »Hat er dich dieses Lied gelehrt?«
»Nein, das hat mich die Mutter gelehrt, da wo sie daheim war, sind die vielen Tannen und die wilden Rosen. Aber jetzt hat sie es ziemlich lang nicht mehr mit mir singen wollen, weil der Vater nicht recht wohl ist. Aber sonst singt immer der Vater mit und sagt mir, wie ich alles singen muß«, setzte das Kind hinzu.
»Nun weiß ich, was ich dir schenken kann, weil du so gut singst«, sagte plötzlich erfreut das Fräulein und zog ein kleines Buch aus der Tasche. »Sag mir aber auch, wie du heißest, noch weiß ich deinen Namen gar nicht.«
»Ich heiße Dori Maurizius«, war die Antwort.
Die junge Dame hatte ihr Büchlein aufgeschlagen und hielt es Dori hin: »Komm, lies mir eines der Lieder vor, du kannst ja wohl deutsch lesen?«
»O,ja wohl«, bestätigte das Kind und las rasch ohne Aufenthalt:
»Nimm meine Hand!
Wird mich die deine leiten,
Geht's auch durch Nacht
Und tiefe Dunkelheiten,
An deiner Hand
Geht's in ein selig Land.«
»Du liest schnell«, sagte das Fräulein. »Du verstehst doch gut, was du liest? Du weißt gewiß auch, wem wir so gern die Hand geben möchten, daß er uns führe, weil er den besten Weg weiß?«
»Ja, meinem Vater«, entgegnete Dori unverzüglich.
Das Fräulein lächelte. »Wie denkst du denn, daß du nachher in ein seliges Land kommst? Lies noch einmal, du mußt nicht nur an die ersten Worte denken, auch an die andern, die folgen«, und sie wies mit dem Finger auf die Schlußworte.
»Was ist selig?« fragte Dori dagegen.
»Selig ist so vollkommen glücklich sein, daß uns nichts mehr mangelt und nichts mehr weh tut, nie mehr in alle Ewigkeit.«
»Ja, das will mein Vater mit mir, er will mich schon so führen«, versicherte das Kind.
»Das glaube ich dir wohl, daß er so tun wollte«, stimmte das Fräulein bei. »Sieh, Dori, ich habe auch einen Vater, den ich so lieb habe, wie du den deinen, und der alles für mich tun wollte, daß ich wohl und glücklich sein könnte mit ihm. Aber nun bin ich krank, das tut meinem Vater so weh, daß ich es ihm nicht einmal so zeigen darf, wie ich es fühle. Mit aller Liebe, die er zu mir hat, und allem Verlangen, daß ich wieder gesund werde, kann er mich doch nicht gesund machen. Du kannst wohl
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