Was soll denn aus ihr werden?
hineindrängen muß. Nun weiß ich,warum oft ein solcher Schmerzenszug auf seinem Gesichte lag. Aber Mutter, hättest du je denken können, daß dieser Mann sein bestes Gut, seinen herrlichen Jungen in meine Hand geben würde! Er kennt mich doch und weiß ja, wie armselig es steht um meine Bildung und mein Wissen und alle Kenntnisse, die andere haben, und doch zeigt er mir solches Vertrauen und übergibt mir den Jungen ohne Vorschrift. Wie ich ein eigenes Kind behandeln würde, so soll ich mit ihm tun.«
»Unser Herr Doktor muß an dir etwas gefunden haben, das er wohl so hoch schätzt wie vieles Wissen und Kenntnisse, sonst hätte er dir diesen Knaben nicht anvertraut«, meinte die Mutter, »du darfst dich wohl darüber freuen, ich tue es auch.« Daß diese Worte Wahrheit waren, konnte man auf Dorotheas Angesicht lesen.
»Da bin ich doch kein unnützes Geschöpf und muß kein solches werden, was meinst du, Mutter?«
»Nein, niemals, das habe ich aber auch nie gefürchtet.«
»Und habe ich nun nicht auch Kinder, die mich lieb haben, Mutter? Denkst du noch an deine Worte?«
»Ich habe gleich daran gedacht, wie ich so die Kleinen an dir hängen sah. Ich freue mich ja so darüber, wie ich nicht sagen kann, daß alles so geworden ist. Dori! du wirst ja auch niemals mehr solche Liebe entbehren müssen, denn mutterlose Kinder gibt es immer wieder und überall und dabei kannst du mancher armen, leidenden Mutter zu einem rechten Trost werden, wenn eine solche sich von ihrem Kinde trennen und es in fremde Hände geben muß.«
Dori hatte eine kleine Weile aus dem Fenster auf die duftenden Blumen in ihrem Garten, dann nach den Höhen der altbekannten Berge hinüber geblickt, über die der silberne Mond leise Lichtstreifen warf. »Mutter«, sagte sie, sich umwendend, »ich glaube, ich gehöre zu den glücklichsten Menschen auf Erden, ich habe nur zu danken. Ich will auch dem lieben Gott mit meinem ganzen Herzen und Leben danken, daß er mich so geführt hat. Du bist doch nun auch glücklich, Mutter? Wirst du niemals denken:Hätte doch Dori einen andern Schritt getan und säßen wir doch in Ardez?«
»Nein, niemals, Dori«, erwiderte lächelnd die Mutter, »ich habe ja nur um deinetwillen geschwankt, aber jeden Tag danke ich Gott, der dir die Sicherheit ins Herz gegeben hatte, das Rechte zu tun. Dein Glück ist mein Glück und darüber hinaus habe ich noch das eigene Glück, daß ich mich ohne Sorge jedes Tages freuen darf, denn du wirst nie allein und verlassen sein, auch wenn ich nicht mehr da bin.«
Wenn am lichten Sommerabend Dori mit ihrem Kinderschärchen die Höhe hinan steigt, um bei der alten Mauer sich zu lagern und dem Rauschen der laubreichen Kastanienbäume zu lauschen, was die Kinder vor allem lieben, dann schauen die Leute von Cavandone unter allen Türen und Fenstern ihnen nach, denn die fröhliche Schar mit der jungen Mutter wird überall gern gesehen. Immer wieder sagt dann eine Nachbarin zur andern: »Sieh doch, wie sie den kleinen Buben streichelt, den das Großkind der alten Maja immer an der Hand führt, man könnte meinen, er wäre ihr eigener. Und den armen Lahmen, wie sorgfältig sie den behandelt! Der ist in gute Hände gekommen, die eigene Mutter könnte nicht zärtlicher mit ihm sein.«
»Sicher nicht«, bestätigt dann die Nachbarin, »aber sieh, wie sie dem andern nachschaut, dem mit dem schönen Lockenhaar, wenn er nur drei Schritte von ihr weg geht; den hütet sie erst recht wie ihren Augapfel.«
Ist die kleine Gesellschaft oben angelangt und ertönen nun auf den Höhen drüben die Abendglocken eine nach der andern, dann lauscht Dori, an ihre Mauer gelehnt, den altbekannten Klängen und die Erinnerungen an die vergangenen Tage steigen lebendig in ihr auf. Sie sieht das fremde Fräulein vor sich auf der Mauer sitzen, den alten Herrn herankommen mit den weißen Haaren und dem liebevollen Ausdruck auf dem schönen Angesicht, und so vieles, das diese Begegnung nach sich zog, zieht durchihre Gedanken. Und als tiefsinniges Gebet, ganz anders, als da sie an dieser Stelle zum erstenmal die Worte las, steigen diese nun aus ihrem Herzen auf:
»Nimm meine Hand,
Daß mich die deine leite!«
Aber zu lange läßt Otto ihr nicht zum Sinnen Zeit, er ist schon an ihrer Seite und möchte das Lied von denRosen singen, denn er liebt die Rosen und die Freude und singen will er mit Tante Dori, so oft es nur angeht. Und Dori mit ihrem frohen Dank im Herzen stimmt gern an, die Kinder fallen alle ein, Marietta
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