Coolman und ich. Voll auf die zwölf (German Edition)
1. Kapitel
Der Schrank des Grauens
Stellt euch den Geräteraum einer Sporthalle vor. Vollgestopft mit Barren, Schwebebalken, Trampolinen, Sprungkästen, Turnmatten, Böcken und anderen Foltergeräten.
Habt ihr das?
Gut, aber das war ja auch einfach.
Stellt euch jetzt einen Metallschrank vor, wie es ihn in jeder Schule gibt. Der Schrank steht an der Wand des Geräteraums, und es ist der Schrank des Grauens, weil darin all die vielen vergessenen Sporthemden, Trainingshosen, Socken und Hallenschuhe gelagert werden.
Könnt ihr den alten Schweiß riechen?
Ist euch schon schlecht?
Dann stellt euch nun einen Jungen mit zwei Boxhandschuhen und einem blauroten Bademantel mit der Aufschrift »Killer-Kai, der Bergschulen-Tiger« vor. Killer-Kai hockt zusammengekauert in diesem dunklen Stahlsarg und zittert am ganzen Körper. Nicht wegen des bestialischen Gestanks. Na ja: deswegen auch. Aber vor allem aus Angst. Nackter, grauenhafter Angst.
Spürt ihr seine Gänsehaut?
Fühlt ihr seine aufgestellten Nackenhaare?
Hört ihr sein Herz wild schlagen?
Dann wisst ihr jetzt auch, wer ich bin. Ich bin Kai, und dass ich mir ausgerechnet den miefenden Schrank des Grauens als Versteck ausgesucht habe, zeigt, wie hoffnungslos meine Lage ist.
Hoffnungslos und außerdem schrecklich eng, weil ich nicht alleine hier drinnen hocke. Neben mir sitzt ein Typ mit einer schwarzen Augenmaske, einem blauen Cape und einem hautengen, orangefarbenen Einteiler.
Darf ich vorstellen: Der Typ, den die alte Socke gerade umgehauen hat, heißt COOLMAN. COOLMAN begleitet mich, seit ich vier bin. Wo ich bin, ist auch er, und dass nur ich ihn sehen kann, ist ein wahrer Segen für den Rest der Menschheit. Das könnt ihr mir glauben. Es reicht, dass er mein Leben mit seinen Ratschlägen und Kommentaren zu einer unendlichen Abfolge katastrophaler Katastrophen macht. Und COOLMAN ist – ihr ahnt es längst – auch diesmal wieder schuld daran, dass ich bis über die Augenbrauen in Schwierigkeiten stecke und in diesem stinkenden Verschlag festsitze.
Weil meine düstere Zelle kein Schlüsselloch besitzt, durch das ich nach draußen spinksen könnte, lausche ich angestrengt nach verdächtigen Geräuschen aus dem Geräteraum. Das ist gar nicht so leicht. Mein Herz schlägt vor Angst lauter als der Schlagzeuger einer Heavy-Metal-Band. Plötzlich übertönt ein schrilles, metallisches Kreischen meinen dröhnenden Herzschlag. Das Kreischen kommt von dem ungeölten Tor, das den Geräteraum von der Sporthalle trennt.
»Kai? Steckst du hier irgendwo? Alle warten nur noch auf dich! Wo bist du denn?«
Die Stimme gehört Kauffmann, meinem Sportlehrer. Ich höre, wie seine Turnschuhe auf dem Linoleum quietschen. Das Quietschen kommt immer näher und stoppt direkt vor dem Schrank.
»Komm schon raus! Es passiert dir nichts. Versprochen!«
Das ist eine Falle. Ich weiß, dass das eine Falle ist, und deswegen werde ich den Teufel tun, mein sicheres Versteck zu verlassen.
Ich habe schon zu oft auf COOLMAN gehört. Und das war meistens ein Fehler. Eigentlich immer, wenn ich ehrlich bin.
Deswegen bleibe ich lieber hier drinnen und gehe das minimale Risiko ein, in diesem Metallschrank in der Sahara geröstet zu werden. Das ist immer noch besser, als da draußen ...
Die quietschenden Sohlen entfernen sich wieder von dem Schrank, weil sich wahrscheinlich selbst Kauffmann nicht vorstellen kann, dass sich jemand freiwillig zwischen den müffelnden Sportklamotten versteckt hält.
Ich kann hören, wie Matten zur Seite gerückt und Turnkästen hochgehoben werden. Wie alles dauert auch das bei Kauffmann ewig. Kauffmann war früher Boxer. Ein ziemlich guter sogar. Zumindest, was den Angriff betrifft. Leider war seine Deckung so offen wie das Maul eines gähnenden Nilpferds. Deswegen hat er bei seinen Kämpfen ein paar Treffer zu viel an den Kopf gekriegt. Seitdem läuft sein Leben etwas zeitverzögert ab. Ihr müsst euch das wie bei einer DVD vorstellen, die beim Abspielen auf dem Computer immer wieder hängen bleibt. Es dauert daher, bis er alles durchsucht hat und den Geräteraum endlich wieder verlässt. Aus der Turnhalle sind währenddessen Sprechchöre zu hören.
»Anfangen! Anfangen! Anfangen!«
Das klingt, als wären da ziemlich viele Zuschauer. Und auch wenn die Hälfte davon wegen mir gekommen ist, werde ich den Schrank trotzdem nicht verlassen. Ich denke ja gar nicht dran. Ich bleibe einfach hocken, bis es Nacht geworden ist und alle nach Hause gegangen sind.
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