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Was wir sind und was wir sein könnten

Was wir sind und was wir sein könnten

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hüther
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der Mensch sein Gehirn benutzt und deshalb auch strukturiert. Die konkrete Form dieser inneren Bilder und Orientierungen, die ein Mensch im Lauf seines Lebens für seine weitere Lebensgestaltung herausbildet, hängt im hohen Maß von den jeweils vorgefundenen und als besonders »erfolgreich« bewerteten Vorbildern ab, die er als Heranwachsender innerhalb seines Kulturkreises und der dort herrschenden sozialen (familiären und gesellschaftlichen) Beziehungen vorfindet. Zwangsläufig ergibt sich daraus, dass die »Denkmuster«, die »Gefühlsstrukturen« und die im Lauf des Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen – und innerhalb eines Kulturkreises, von Menschen aus unterschiedlichen Familien und Sippen, von Männern und Frauen, von Erstgeborenen und Nachgeborenen – mehr oder weniger stark voneinander abweichen. Da nirgendwo auf der Welt identische Bedingungen herrschen, unter denen die Menschen identische Erfahrungen machen, ist die in jedem menschlichen Gehirn herausgeformte Bilder- bzw. Vorstellungswelt ein einzigartiges Konstrukt.

Unsere Vorstellungen sind wie Ketten
    In unserer aufgeklärten Zeit mit all den modernen Kommunikationsmöglichkeiten entsteht sehr leicht der Eindruck, das menschliche Gehirn sei in erster Linie für das Denken und den Austausch von Gedanken da. Aber dieser Eindruck täuscht. Unser Gehirn ist zum Lösen von Problemen optimiert, inneren wie äußeren, auch wenn durch die Art und Weise, wie wir es bisher überwiegend benutzt haben, zumeist mehr Probleme erzeugt als gelöst worden sind. Probleme zeichnen sich gegenüber alltäglichen Routinen dadurch aus, dass sie »unter die Haut gehen«, also mit einer Aktivierung körperlicher und emotionaler Reaktionsmuster einhergehen. Die dabei im Gehirn stattfindende Aktivierung emotionaler Zentren führt zur vermehrten Freisetzung neuroplastischer Botenstoffe. Sie bewirken eine effektive Stabilisierung und Bahnung der zur Lösung des problematischen Erlebens aktivierten neuronalen Verschaltungsmuster. Am Ende eines solchen Bahnungsprozesses haben wir nicht einfach nur etwas hinzugelernt, sondern eine neue Erfahrung gemacht. Und die ist nun im Gehirn verankert, und zwar als ein kognitives Netzwerk (was habe ich erlebt?), das an ein emotionales Netzwerk angekoppelt ist (wie ist es mir dabei ergangen?). Und wenn wir in bestimmten Lebensbereichen, also beispielsweise in der Familie, in der Schule oder im Betrieb immer wieder bestimmte Erfahrungen machen, dann verdichten sich diese Erfahrungen im Frontalhirn zu einer inneren Überzeugung, also einer bestimmten Vorstellung davon, worauf es – in der Familie, in der Schule, in der Firma – ankommt.
    All diese aus unseren Erfahrungen erwachsenen und in unseren Gehirnen verankerten Vorstellungen haben eine wichtige biologische Funktion: es sind innere Bilder, die unser Denken, Fühlen und Handeln leiten. Und neben den individuell erfahrungsabhängig herausgeformten inneren Bildern gibt es in jeder Gemeinschaft natürlich auch noch durch gemeinsame Erfahrungen herausgeformte innere Bilder. Diese identitätstiftenden und Zugehörigkeit sicherenden gemeinsamen Vorstellungen werden in Form bestimmter Ideen und Überzeugungen von den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaft vertreten und weitergegeben.
    »Ideen sind wie Ketten, derer man sich nicht entreißt, ohne sein Herz zu zerreißen.« Diese tiefe Einsicht in die Macht der eigenen Vorstellungswelt, der in unseren Hirnen verankerten Welt- und Menschenbilder, verdanken wir ausgerechnet dem Privatgelehrten und ideologischen Wegbereiter der Idee des Kommunismus, Karl Marx. Offenbar hat er gewusst, wovon er redet, und die Erkenntnisse, die die Hirnforscher in den letzten Jahren zutage gefördert haben, geben ihm recht: Nicht das viele Wissen, nicht die auswendig gelernten Lehrsätze, nicht die vielen gelesenen Ratgeber und Lehrbücher, sondern die Vorstellungen, die inneren Überzeugungen, die Welt- und Menschenbilder, mit denen wir herumlaufen, bestimmen unser Denken und Handeln. Sie versuchen wir zu verwirklichen, ihnen folgen wir, und an ihnen hängen wir wie in selbstgeschmiedeten Ketten. Ja, selbstgeschmiedet! Denn niemand ist mit irgendeiner dieser festen Vorstellungen davon auf die Welt gekommen, wie man als Mensch zu sein hat, wie man sich in der Welt zurechtfindet, wie man anderen Menschen begegnet, ja auch wie man sich kleidet, wie Häuser gebaut, Räume eingerichtet werden sollen. Und wenn

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