Was wir sind und was wir sein könnten
weshalb man so ist, wie man ist, dann ist es auch mit der Suche nach dem, was es an einem selbst alles noch zu erkennen und entdecken gibt, leider vorbei.
Wer aber ein Suchender bleiben will, der müsste sich selbst auf diesen wunderbaren Prozess einlassen, in dessen Verlauf er, je mehr er erkennt und entdeckt, umso weniger der bleiben kann, der er einmal war. Und in diesem Prozess müsste er mit dem, was er erkennen und entdecken will, in eine Beziehung treten, in eine Beziehung, die dem zu Erkennenden und zu Entdeckenden genügend Möglichkeiten bietet, sich zu zeigen und sich zu entfalten. Kleine Kinder erkennen und entdecken die Welt genau auf diese Weise, allerdings nur so lange, bis wir ihnen zeigen, wie etwas funktioniert, wie man es zerlegt und was man damit machen kann. Dann ist auch schon bei ihnen das Entdecken zu Ende, dann ist der Gegenstand des Interesses zum Objekt geworden, das man nun nur noch weiter untersuchen, manipulieren oder für bestimmte Zwecke nutzen kann. Wenn es sich um tote Gegenstände handelt, mag dieses Vorgehen berechtigt sein. Da gibt es ja auch nichts zu entdecken. Da kann man bestenfalls feststellen und beschreiben, wie es beschaffen, wie es gebaut ist, wie es funktioniert. Schlimmstenfalls ist am Ende einer solchen Untersuchung eben die Uhr kaputt.
Wenn der Gegenstand des Interesses aber lebendig ist, bleibt jeder Versuch, ihn zu erkennen und zu entdecken, indem man ihn zum Objekt macht und ihn gar in seine Einzelteile zerlegt, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das, was ein Schmetterling ist, geht eben zwangsläufig verloren, sobald man ihn aufgespießt hat. Deshalb hat sich jeder, der sich selbst als Produkt der Expression seiner genetischen Anlagen betrachtet oder der sein Verhalten auf die Wirkung bestimmter Hormone oder die Aktivierung irgendwelcher neuronaler Strukturen zurückführt, gewissermaßen selbst aufgespießt. So lässt sich zwar ganz gut erklären, weshalb man so ist, wie man ist, und sich so verhält, wie man das immer wieder tut, aber mit den Flügeln schlagen und davonfliegen kann so jemand nicht mehr, noch nicht einmal mehr in der eigenen Vorstellung.
Wir konstruieren unsere eigene Wirklichkeit
Auf der Suche nach den Ursachen für die vielen Probleme, die unser Zusammenleben so schwer machen und uns daran hindern, unsere Potentiale zu entfalten und über uns hinauszuwachsen, stößt man immer wieder auf ein sonderbares Phänomen: Es sind eigentlich gar nicht die Menschen, die nicht so recht zusammenpassen, sondern die zum Teil recht unterschiedlichen, oft sehr widersprüchlichen und bisweilen sogar gänzlich unvereinbaren Vorstellungen und Überzeugungen, die sie in ihren Köpfen haben. Wenn wir also verstehen wollen, weshalb wir so sind, wie wir sind, müssten wir herauszufinden versuchen, wie diese zum Teil recht sonderbaren Vorstellungen in unsere Köpfe kommen.
Für einen Hirnforscher verbirgt sich hinter all diesen unterschiedlichen Bezeichnungen für das, was Menschen antreibt und sie dazu bringt, ihr Leben auf eine bestimmte Weise zu betrachten und zu gestalten, immer das Gleiche: Es sind strukturgewordene Erfahrungen, also im Lauf des Lebens erworbene und im Gehirn verankerte Verschaltungsmuster zwischen den Nervenzellen. Immer dann, wenn eine solche Verschaltung aktiviert wird, entsteht ein bestimmtes Erregungsmuster, das das Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen bestimmt. »Rückgriff auf erfahrungsabhängig herausgeformte handlungsleitende, das Denken bestimmende, Orientierung bietende innere Bilder« wäre also die beste Bezeichnung für das, was Menschen dazu bringt, genauso zu denken, so zu empfinden oder so zu handeln, wie sie das immer dann tun, wenn diese inneren Muster aktiviert werden.
Aufgrund seiner individuell und im Zusammenleben mit anderen Menschen gemachten und im Hirn in Form bestimmter Nervenzell-Verschaltungen entsprechend verankerten Erfahrungen gelangt jeder einzelne Mensch im Lauf seines Lebens zu bestimmten Annahmen und entwickelt bestimmte Vorstellungen über die (soziale) Welt, über die Art seiner Beziehungen zur äußeren (sozialen) Welt und über seine Möglichkeiten zur Mitgestaltung dieser Welt. Diese Vorstellungen werden als innere Orientierungen, als Selbstwirksamkeitskonzepte und eigene Leitbilder im Hirn verankert. Sie bieten einem Menschen Halt und Sicherheit, bestimmen seine Entscheidungen, lenken seine Aufmerksamkeit in bestimmte Richtungen und sind daher ganz entscheidend dafür, wie und wofür
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