WattenMord (German Edition)
starken Schulter und körperlicher Nähe sehnte, dann sahen sie sich und verbrachten auch eine Nacht zusammen. Am nächsten Morgen verschwand er dann wieder nach Kiel, wo er lebte. Sie wusste nicht, was er dort trieb, und wenn sie ehrlich zu sich war, dann wollte sie es auch gar nicht wissen. Wiebke versuchte sich damit abzufinden, Single zu sein. Sie hatte in den letzten Monaten einen unsichtbaren Schutzwall um sich errichtet, um Tiedje auf der nötigen Distanz zu halten. Auf gar keinen Fall wollte sie zu viele Gefühle in ihn investieren. Nicht, um eines Tages wieder von ihm enttäuscht zu werden.
Wiebke verlangsamte ihre Schritte und sog die würzige Meeresluft tief in ihre Lungen ein. Sie ließ den Blick über die Stelle schweifen, an der das Ferienressort entstehen sollte. In der Zeitung hatte sie Fotomontagen gesehen, in denen man darstellte, wie es hier bald schon aussehen könnte.
Das dumpfe Tuckern eines Schiffsdiesels riss sie aus den Gedanken. Wiebke blickte auf die Nordsee hinaus. Die „Argus“, ein im Husumer Hafen beheimateter Krabbenkutter, ging auf Fang. Schemenhaft erkannte sie den Käpt‘n auf der Brücke. Während der 250 PS Cummins-Diesel gegen die Wellen anstampfte, klappten die Arme der Fangnetze über die Bordwände. Wenn der siebzehn Meter lange Kutter von seiner Fahrt zurückkehrte, würde man die fangfrischen Fische und Krabben sofort auf die wartenden Lastwagen verfrachten.
Auch wenn die Klagen der Fischer immer lauter wurden, so hatte der Anblick des blauen Kutters doch etwas Romantisches, fand Wiebke. Sie trabte weiter, ohne nach vorn zu blicken.
Prompt prallte sie mit einem stabilen Mann zusammen. Ein keuchender Laut kam über seine spröden Lippen, während er Wiebke böse anblickte.
„Haben Sie keine Augen im Kopf?“, fragte er.
„Entschuldigung, aber ich war in Gedanken“, erwiderte Wiebke peinlich berührt.
„Schon gut, ist ja nichts passiert.“ Er lächelte versöhnlich.
Wiebke glaubte zumindest, dass der Mann lächelte. Denn von seinem runden Gesicht konnte sie nicht viel erkennen – es verbarg sich hinter einer dunkelblauen Pudelmütze, buschigen Augenbrauen und einem dichten Vollbart. Im Mundwinkel klemmte eine längst erkaltete Pfeife. Mit seiner blauweiß gestreiften Arbeitsjacke, den Gummistiefeln und der verblichenen Hose sah der Mann aus, als käme er geradewegs von Bord der „Argus“.
Wiebke schätzte ihn auf knapp zwei Meter; sein Alter vermochte sie nur grob zu schätzen und sie tippte, dass er Mitte dreißig war. Der Bart machte ihn älter.
„Ist das nicht ein Jammer?“, fragte der Hüne jetzt und blickte an Wiebke vorbei. Bei jedem seiner Wörter wippte die Pfeife zwischen seinen Lippen.
Sie wusste nicht, wovon der Fremde sprach und wandte sich um. Schräg hinter ihr lag das „Nordsee-Hotel“.
„Was ist ein Jammer?“
„Na, das alles wird bald der Vergangenheit angehören. Und die Umwelt gleich mit.“ Er schüttelte den Kopf, so, als könne er seinen Worten selbst keinen Glauben schenken. „Es ist ein Skandal allererster Güte, was hier passieren soll.“
Jetzt verstand Wiebke. „Sie meinen die Baupläne für das Ferienressort?“
Er nickte mit ernster Miene. „Da kann man schon mal unkonzentriert über den Deich joggen, wie Sie es getan haben. Dieser Heiners ist ein aalglatter Geschäftsmann. Er schert sich nicht darum, was er hier anrichtet, solange er seine Gewinne optimieren kann. Als wenn seine Bausünden auf Sylt nicht genügen würden.“
„Sylt?“
„Ja, Heiners hat eine ähnliche Siedlung vor einigen Jahren auf Sylt verbrochen. Die Natur hat eben den Kürzeren gezogen, so einfach ist das.“
„Und Sie setzen sich für den Schutz der Natur hier am Dockkoog ein“, mutmaßte Wiebke, die eigentlich nicht vorhatte, sich mit einem fremden Mann über die Pläne eines Immobilienmaklers zu unterhalten. Längst schon war der Dockkoog zum Politikum geworden.
„Sozusagen, ja.“
Er hielt Wiebke seine große Pranke hin. Sie war nicht grob, sondern trotz ihrer Größe fast feminin. Den Tick, bei einem Mann zuerst auf die Hände zu achten, hatte sie wohl von ihrer Mutter geerbt, die immer gesagt hatte, dass die Hände eines fremden Mannes ganze Geschichten erzählen konnten. Wiebke betrachtete unauffällig die gepflegten Hände ihres Gegenübers. Diese Hände waren keine harte Arbeit gewohnt.
„Mein Name ist Torben Schäfer. Und ich habe die Bürgerinitiative ,Rettet den Dockkoog‘ ins Leben gerufen.“ Nun grinste er.
„Und
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