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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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zahlreiche Internatsstreiche erinnert, an alle möglichen lustigen Anschläge auf Chemielehrer und an nächtliche Eskapaden im Londoner »43«. Wie hieß der Kerl bloß noch mal? Es war eindeutig zu spät, ihn jetzt noch zu fragen. Und [21] überhaupt musste er los, zu Angela. Er nahm an, dass sie wohlbehalten in Tante Marthas Haus angekommen war und sein Telegramm bekommen hatte. Ein misslicher Auftakt der Flitterwochen – doch andererseits kannten er und Angela sich schon so lange… Es war ja nicht so, als ob das eine ganz frische Romanze wäre.
    Kurz darauf klopfte es. »Die Jäger versammeln sich heute Morgen hier in der Nähe, Sir. Der Captain lässt fragen, ob Sie gern mitreiten würden.«
    »Nein, nein! Ich muss sofort nach dem Frühstück aufbrechen.«
    »Der Captain meinte, er könnte Ihnen mit einem Pferd aushelfen, Sir, und mit den passenden Sachen.«
    »Nein, nein! Ausgeschlossen.«
    Doch als Tom zum Frühstück hinunterkam und seinen Gastgeber dabei antraf, wie er eine Sattelflasche mit Kirschwasser füllte, zogen heimliche Fäden an seinem Herzen.
    »Wir sind weiß Gott ein komischer Haufen. Alles rückt aus, der Pfarrer, die Bauern, alle möglichen Gäule. Aber meistens legen wir am Rand des Moors einen ganz ordentlichen Galopp hin. Zu schade, dass du nicht mitkommen kannst. Du solltest mal meine neue Stute ausprobieren, reitet [22] sich phantastisch… vielleicht ein bisschen rassig für die ländlichen Verhältnisse hier…«
    Ach, warum nicht?… Schließlich kannten er und Angela sich schon so lange… Es war ja nicht so, als ob…
    Und zwei Stunden später galoppierte Tom bei stürmischem Wind wie ein Wilder über das übelste Jagdterrain auf den Britischen Inseln – abwechselnd Heide und Sumpf, durchsetzt mit Trittlöchern, Felsen, Gebirgsbächen und stillgelegten Kiesgruben. Die Hunde schwärmten den Hang gegenüber hinauf, die Stute lief tadellos, zu allen Seiten umstürmten ihn Bauernburschen auf zottigen kleinen Ponys, Anwaltsgattinnen auf kurzbeinigen Tinkern, pensionierte alte Kapitäne achtzehn Handbreit hoch im Sattel, Tierärzte und Pastoren, und keine Sorge beschwerte sein Herz.
    Abermals zwei Stunden später saß er unter weniger glücklichen Umständen allein in der Heide, zu allen Seiten umgeben vom geschlossenen Horizont der leeren Moorlandschaft. Er war abgestiegen, um einen Gurt enger zu schnallen, und als er daraufhin über einen Hang galoppierte, um das Feld wieder einzuholen, war seine Stute in einen Kaninchenbau getreten, gestürzt, gefährlich dicht an ihm vorbei über den Boden gerollt und dann, als sie sich wieder aufgerappelt [23] hatte, in forschem Tempo Richtung Stall gekantert, während er noch nach Luft schnappend auf dem Rücken lag. Jetzt war er ganz allein in einer wildfremden Gegend. Er kannte weder den Namen seines Gastgebers noch dessen Adresse. Er stellte sich vor, wie er von Dorf zu Dorf stapfte und fragte: »Können Sie mir die Adresse eines jungen Mannes sagen, der heute Morgen jagen war? In Eton hat er im Butcher’s House gewohnt!« Zudem fiel Tom plötzlich ein, dass er verheiratet war. Natürlich kannten er und Angela sich schon so lange… Doch es gab Grenzen.
    Abends um acht schleppte sich ein müder Geselle in die freundlich erleuchtete Gaststube des Royal George Hotel in Chagford. Er trug durchnässte Reitstiefel und zerrissene und schmutzige Kleidung. Er war fünf Stunden lang durchs Moor geirrt und hatte Hunger. Er bekam kanadischen Käse, Margarine, Büchsenlachs und dunkles Flaschenbier vorgesetzt und zum Schlafen ein großes Messingbett, das quietschte, wenn er sich bewegte. Dennoch schlief er bis zum nächsten Morgen um halb elf.
    Der dritte Tag der Flitterwochen begann verheißungsvoller. Eine trübe Sonne schien ein wenig. Steif und zerschlagen am ganzen Körper, zog [24] Tom die immer noch klammen Reitsachen seines unbekannten Gastgebers an und erkundigte sich nach einer Verbindung zu dem fernen Dorf, wo Tante Marthas Haus stand und wo Angela ihn bestimmt sorgenvoll erwartete. Er telegrafierte ihr: »Ankomme heute Abend. Werde alles erklären. Kuss«, und machte dann ausfindig, wann die Züge gingen. Es gab genau einen Zug am Tag, der am frühen Nachmittag fuhr und ihn nach dreimal Umsteigen spätabends in einem nahegelegenen Bahnhof absetzte. Hier stieß er auf das nächste Hindernis. Im Dorf gab es keinen Wagen zu mieten. Das Haus seiner Tante war acht Meilen entfernt. Ab sieben Uhr gab es keine Telefonverbindung mehr. Nach seiner

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