Waugh, Evelyn
[9] Liebe in schlechten Zeiten
I
Die Hochzeit von Tom Watch und Angela Trench-Troubridge dürfte eines der unbedeutendsten Ereignisse seit Menschengedenken gewesen sein. Die Vorgeschichte der beiden jungen Leute, ihre Verlobung und ihre Verehelichung, alles wies sie bis ins kleinste Detail als vollkommen typische Vertreter all dessen aus, was an den modernen gesellschaftlichen Verhältnissen am unbeachtlichsten ist. Die Abendzeitung notierte:
»St. Margaret hat eine ereignisreiche Woche hinter sich. Heute Nachmittag fand dort die dritte mondäne Hochzeit der Woche statt; zwischen Mr. Tom Watch und Miss Angela Trench-Troubridge. Mr. Watch, der wie so viele junge Männer heutzutage in der City arbeitet, ist der zweite Sohn des verstorbenen Honourable Wilfrid Watch von Holyborne House in Shaftesbury; der Vater der Braut, Colonel Trench-Troubridge, ist als großer Freund der Jagd bekannt und hat [10] mehrmals für die Konservativen in den Parlamentswahlen kandidiert. Mr. Watchs Bruder, Captain Peter Watch von den Coldstream Guards, gab den Trauzeugen. Die Braut trug einen Schleier aus alter Brüsseler Spitze, den schon ihre Großmutter getragen hatte. Der neuen Gepflogenheit folgend, in Großbritannien Urlaub zu machen, werden Braut und Bräutigam patriotische Flitterwochen in Westengland verbringen.«
Und dieser Meldung muss in der Tat nur sehr wenig hinzugefügt werden.
Angela war fünfundzwanzig, hübsch, gutherzig, lebhaft, intelligent und beliebt – und somit genau die Sorte Mädchen, der es aus irgendeinem tief in der angelsächsischen Psyche verwurzelten unergründlichen Grund außerordentlich schwerfällt, sich zufriedenstellend zu verheiraten. In den vorangegangenen sieben Jahren hatte sie alles getan, was Mädchen wie sie üblicherweise tun. In London war sie im Schnitt vier Abende die Woche tanzen gegangen, in den ersten drei Jahren auf Privatgesellschaften, in den letzten vier in Restaurants und Nachtclubs; auf dem Lande war sie zu den Nachbarn leicht herablassend gewesen und hatte Leute zum Jagdball mitgebracht, mit denen sie zu schockieren hoffte; sie hatte in einem Elendsviertel und einem Hutgeschäft gearbeitet, [11] hatte einen Roman veröffentlicht, war elfmal Brautjungfer gewesen und einmal Patin; sie war zweimal unstandesgemäß verliebt gewesen; hatte ihre Fotografie für fünfzig Guineen an die Werbeabteilung einer Kosmetikfirma verkauft; hatte Ärger bekommen, als ihr Name in den Klatschspalten auftauchte; hatte bei fünf oder sechs Benefizmatineen und zwei Historienspielen mitgewirkt, hatte bei zwei Parlamentswahlen Stimmen für den konservativen Kandidaten geworben und hielt es, wie alle Mädchen auf den Britischen Inseln, zu Hause kaum aus.
In den Jahren der Wirtschaftskrise wurde es vollends unerträglich. Schon seit längerem legte ihr Vater zunehmenden Widerwillen an den Tag, das Haus in London zu öffnen; jetzt raunte er düster von »Sparmaßnahmen« und meinte damit seine Absicht, sich ganz aufs Land zurückzuziehen, die Anzahl der Hausdiener zu reduzieren, die Schlafzimmer nicht mehr zu heizen, Angelas Taschengeld zu kürzen und anderthalb Meilen Fischgründe in der Nachbarschaft zu erwerben, auf die er schon seit Jahren ein Auge geworfen hatte.
Vor die düstere Aussicht gestellt, auf unbestimmte Zeit weiter den Sitz ihrer Vorfahren bewohnen zu müssen, kam Angela, wie so manches [12] vernünftige englische Mädchen vor ihr, zu dem Schluss, dass sie sich nach ihren beiden unglücklichen Liebschaften wohl kaum ein weiteres Mal verlieben würde. Das Leben würde sie nicht vor die romantische Entscheidung zwischen Liebe und Wohlstand stellen. Ältere Söhne waren in dem Jahr knapper denn je, und es gab heftige Konkurrenz aus Amerika und den Commonwealthstaaten. Ihr blieb nur die Wahl zwischen einem freudlosen Dasein mit den Eltern auf einem Landsitz und einem freudlosen Dasein mit einem Ehemann in einer Londoner Wohnung.
Der arme Tom Watch hatte Angela seit ihrer ersten Saison eine maßvolle Beachtung geschenkt. Er war in nahezu jedem Detail ihr männliches Gegenstück. Nach einem normalen Bildungsgang mit einem mittelmäßigen Studienabschluss in Geschichte hatte er eine Stelle bei einer soliden Buchprüfungskanzlei angetreten, für die er nach wie vor tätig war. Und an seinen sonnenlosen Arbeitsnachmittagen blickte er wehmütig auf seine Studentenzeit in Oxford zurück, als er noch fröhlich die üblichen universitären Erfolge gefeiert, sprich, im Hindernisrennen des Christ
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