Weihnachten mit Mama
Sonnenschein. Als jüngstes Kind in der Familie genießt sie Narrenfreiheit – alle überdimensionierten Erziehungsanstrengungen sind an den ersten drei Kindern vollständig abgearbeitet worden, und für Dorle blieben nurmehr Nachsicht und Wohlwollen und die pure Freude, auch im mittleren Lebensalter ein unbekümmertes Naturkind um sich zu haben, welches einen Tag für Tag als lebender Beweis daran erinnert, dass das Leben auch seine schönen Seiten hat.
Angesichts von Dorles Quecksilbrigkeit und Lauras Jetset-Leben kommt mir meine eigene Existenz geradezu arriviert und langweilig vor. Doch wenn ich ehrlich bin, ist mein Geschäft kaum weniger halbseiden als Lauras Business. Zwar führe ich einen Verlag, der irgendwie auch mit Büchern zu tun hat, doch in unserem Sortiment überwiegen die Nonbooks . Was für Books ? Schön, ich erklär’s Ihnen: Die Siebenschön-Artikel finden sich vornehmlich im Eingangsbereich großer Rolltreppen-Buchhandlungen, Sie wissen schon, welche ich meine. Da, wo es wenig Bücher, sondern eben Nichtbücher gibt. Schauen Sie sich um! Willkommen im Wunderland! Ja, doch, Sie sind hier richtig. Auch wenn alles nach Kindergarten, nach Elfen auf Ecstasy aussieht – oder nach irgendwas zwischen Krimskramsladen und Kuriositätenkabinett. Ein Beispiel gefällig? Valentinstag naht – und die gute, alte Buchhandlung verwandelt sich Mitte Januar flugs in ein Meer aus Herzen. Grundfarbe: Rot, natürlich. Ein Rotes Meer, durch das sich die Kundin ihren Weg ins Gelobte Land bahnt. Schokolade, Bärchenanhänger, Armbänder, Badekonfetti, Schlüsselanhänger, Herzli in Schmuckdosen, Herz-Flummis, Herz-Backformen, Herz-Grußkarten, Herz-Pfefferminzbonbons, Herz-Dosen, Herz-Geschenkpapier, Herz-Geldbörsen. Herz-Büchlein natürlich auch, irgendwo dazwischen, schön beflockt, beglitzert, bestickt. Nach Valentin kommt Ostern, nach Ostern kommt Garten, nach Garten kommt Sommer/Sonne/Meer, nach den Ferien kommt Schulanfang, nach Schulanfang Weihnachten. Einige Helden – wie Felix, Rosalie & Trüffel und Fiete, das Schaf – toben ganzjährig durchs Sortiment. Gibt’s eigentlich schon Bobo, den Bären? Wenn nicht, verlassen Sie sich drauf, er wird bald kommen.
Wir befinden uns also im Parterre einer größeren deutschen Buchhandlung. Früher gab’s hier ein paar Lesezeichen und ein paar Mini-Büchlein mit drögen Sprüchen. Die gibt es auch noch, aber dazu ein unüberschaubares Assortiment an saisonalen schmusigen Artikelchen, die scheinbar mühelos imstande zu sein scheinen, die fest verschlossenen Geldbörsen wie von Zauberhand zu öffnen.
In den Buchkaufhäusern hat sich Siebenschön neben den »schönen Büchern«, die unser Verlag ja auch macht – der Name verpflichtet! –, ein paar hübsche Flächen erobert. Zumeist im attraktiven Entrée einst honoriger Buchhandlungen, wo es inzwischen aussieht wie auf dem Floh- oder Weihnachtsmarkt. Blumenvasen aus Plastik, aber in trendy Pastellfarben, die unvermeidlichen Paperblanks und Moleskines, geniale Geschenke, grausige Geschenke, Tand und Tinneff, Plüsch, Pop und Pillepalle, zum Aufklappen und Befühlen, gefüttert, weich und handschmeichelnd. Alles schön bunt, alles ein bisschen Lillifee. Ein Markt der Möglichkeiten, voller Nice-to-have -Überraschungen, eine gigantische Wundertüte. Mädels gehen da gern durch, nehmen das eine oder andere in die Hand, staunen, amüsieren, vergnügen sich. Es wird ihnen warm ums Herz.
Ach, Bücher? Ja, die haben wir auch. Erster Stock, bitte! Wenn Sie mal schauen wollen – hinter dem Presseregal/Kalenderregal/Pappaufsteller da drüben geht eine Treppe hoch …
In den düsteren Momenten meines Verlegerlebens tröste ich mich damit, dass unsere Artikel schon um einige Klassen besser und schöner sind als der Krempel in ihrer Nachbarschaft. Doch es ist eben keine Literatur oder was man dafür halten kann – für Mama ein Dorn im Fleisch, den ich ihr leider nicht ziehen kann. Denn ich habe den Verlag von Papa übernommen, und der hatte Ende der Sechzigerjahre mit einer Idee begonnen, die ihn seinerzeit mit einem Schlag wohlhabend machte. Friedrich Siebenschön stattete Kochbücher mit »Patina« aus, sodass sie aussahen, als hätte man sie wie einen Schatz auf dem Dachboden entdecken können: Vergilbtes Papier wurde simuliert, künstliche Flecken wurden appliziert, handschriftliche Notizen eingefügt und sogar Eselsohren eingeknickt. Frühe Zeugnisse des später so beliebten used look .
Von Anfang an also war
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