Weihnachten mit Mama
vorgezeichnet, dass es im Siebenschön Verlag eben vor allem skurrile, nostalgische, romantische, bezaubernde Dinge zu entdecken gibt. Und wenn Lyrik, dann solche, die man aufs Kopfkissen legen kann. Eher Ringelnatz als Rilke, um es mal auf einen griffigen Punkt zu bringen. Ich für meine Person habe einen ungemeinen Spaß daran, mir jede Saison neue liebevoll-verrückte Dinge auszudenken, die auf den umweglosen Weg ins Herz der weiblichen Kundschaft geschickt werden. Und zur Weihnachtssaison laufen wir zur Hochform auf. Das alles stachelt meinen Spieltrieb an, und letztendlich macht es mir der Verlag unmöglich, dass ich jemals erwachsen werde. Ich bin so der etwas linkische Typ mit dem jungenhaften Charme, und sollte dieses Buch jemals verfilmt werden, dürfte es wohl unausweichlich sein, dass Jan Josef Liefers zur Abwechslung mal nicht den
Boerne spielt, sondern meine Rolle übernimmt. Und Senta Berger die von Mama.
In Münster saß ich mit dem Verlag weit vom Schuss und konnte so ziemlich machen, was ich wollte. Papa mischte sich nicht mehr in die Geschäfte ein, er war es zufrieden, wie ich die Sache anging und rief mich nur jede Saison nach Erhalt unserer Programmvorschau an, um mir zu sagen: »Gut gemacht, mein Junge!« oder »Das hätte ich nicht besser hingekriegt!« oder »Dein neues Programm – wieder mal eine Wucht!« Ich wurde regelmäßig rot und wand mich vor Verlegenheit, anfangs dachte ich sogar, mein Vater ziehe mich auf und meine es ironisch, so wenig hatte ich mit seinem Lob gerechnet. Aber er war einfach nur erleichtert. Er hatte die Größe gehabt, den Verlag rechtzeitig und vertrauensvoll in jüngere Hände zu legen. Und ich hatte so viel Vernunft, an der Ausrichtung des Programms so wenig wie möglich zu ändern.
Mama hingegen sparte nicht mit Vorschlägen. Manche waren – mit Verlaub – ein wenig irre. Andere gingen haarscharf an der Realität vorbei, jedenfalls an den Möglichkeiten dieses Verlags. Und wieder andere waren schlicht größenwahnsinnig.
Das fiel mir wieder ein, als im Klassik-Radio Anna Netrebko die Arie »Si, mi chiamano Mimi« aus der Oper La Bohème sang. Ich lächelte angesichts der Erinnerung, wie Mama eines Tages im Brustton einer genialen Idee gesagt hatte: »Du könntest ja auch mal ein Buch mit Anna Netrebko machen.«
»Mama, ich bin ein Grußkarten- und Geschenkartikelverleger!«
»Es gibt auch Bücher in deinem Verlag«, inistierte sie.
»Ja, aber vor allem kleine Geschenkbücher. Ich glaube nicht, dass Anna Netrebko bei mir ein Geschenkbuch machen will. Und überhaupt bin ich überzeugt, die Leute wollen sie singen hören und nicht lesen … Sie ist ein Weltstar!«
»Ach was, Weltstars sind auch nur Menschen. Du hast nur Angst davor, sie zu fragen …«
Das hatte ich in der Tat. Aber nicht, weil ich ihre Ablehnung fürchtete. Sondern weil es Anna aus irgendeinem dummen Grund möglicherweise sogar in den Sinn kommen könnte zuzusagen. Dann wäre es um den lieben Familienfrieden restlos geschehen.
Denn Anna Netrebko ist für Mama die Primadonna assoluta . Die Königin der Nacht. Die strahlende Göttin im Olymp des hohen C. Wer immer zu erwähnen wagt, Carla Bruni, Norah Jones oder Katie Melua singe gut, hört unweigerlich: »Aber Anna Netrebko singt besser!« Als würde das irgendjemand mit Verstand infrage stellen. Seit Papa vor fünf Jahren, also zu ihrem sechzigsten Geburtstag, Mama sensationelle Karten für eine Vorstellung in der Wiener Staatsoper geschenkt hatte – die Mittelplätze in der Mittelloge, die früher Kaiserloge hieß, jene Plätze, die einst für Franz Joseph und seine Elisabeth bestimmt gewesen waren – und Anna Netrebko die Titelrolle sang, war es klar, wer fortan im Herzen der Elisabeth Siebenschön die unangefochtene Spitzenstellung haben würde: Anna!
Mama steht ohnehin mit allen, die Rang und Namen haben, faktisch auf vertrautem Fuß. Sie weiß, was bei Michelle und Barack sonntags auf den Tisch kommt, sie kennt die schicken Läden, in denen Kate shoppt und aus denen sie ihrem William was Hübsches mitbringt, sie weiß, bei welchem Schneider sich Cate Blanchett ihr Kleid für die Oscar-Verleihung direkt auf ihren porzellanweißen Körper nähen lässt. Und sie hätte mir – falls es mich interessieren würde – ohne zu überlegen sagen können, dass Anna am liebsten in schokoladen- oder mauve-
farbener Unterwäsche singt, während sie weiße und schwarze Dessous nicht ausstehen kann.
Also hob ich kapitulierend die Hände.
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