Weihnachtszauber 01
ihm die Stellung oder seinen Verdienst nahm. Doch war er nicht mehr bereit, eine Schmähung ruhig hinzunehmen. „Mylord, mein Name ist William White.“
Wie nicht anders zu erwarten, nahm Lord Blakely keine Notiz von seinem Einwurf.
„Bill Blight machte etwas falsch. Finde den Fehler und jag ihn davon. Wenn du das schaffst, werde ich dir erlauben zu gehen“, wandte er sich an seinen Enkel.
Lord Wyndleton seufzte tief auf, griff aber nach dem Buch. Er öffnete es und blickte die erste Seite finster an. Währenddessen beobachtete sein Großvater ihn einige Minuten schweigend, schüttelte dann den Kopf und verließ den Raum, sodass die jüngeren Männer allein blieben. William hörte die Haupttür zu den Büros zuschlagen, und kurz darauf konnte man das Hufgetrappel der Pferde, die die Kutsche des Marquess zogen, vernehmen.
Der junge Lord sah auf. „Haben Sie in diesen Monaten einen Fehler gemacht?“
William verdrehte die Augen. „Ja.“
„Dann sagen Sie mir, was es war. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Das kann ich nicht. Zwischen Januar und April müssen um die viertausend Beträge eingetragen worden sein. Selbstverständlich kann sich unter so vielen Einträgen auch ein Fehler eingeschlichen haben. Es ist unmöglich, das zu verhindern. Wäre Ihr Großvater auch nur halbwegs vernünftig, würde er seine Angestellten deswegen nicht hinauswerfen.“
Zu seiner Überraschung brachten ihm seine respektlosen Worte nicht die augenblickliche Entlassung.
„Hm“, machte Lord Wyndleton nur. „Viertausend Einträge.“ Er schenkte William einen gereizten Blick, als wäre es dessen Schuld, dass er sich in dieser Lage befand.
„Was für ein verdammtes Ärgernis.“
Damit wandte er sich erneut seiner Aufgabe zu. Langsam überprüfte er eine Zahlenreihe nach der anderen, blätterte um und begann wieder von vorn. Am Ende der zehnten Seite stieß William gereizt die Luft aus und nahm Platz, ohne auf eine Erlaubnis zu warten. Lord Wyndleton schien es nicht zu bemerken.
Auf der zwanzigsten Seite begann William seine sorgfältige Arbeit zu verwünschen.
Wenn er bereits ganz am Anfang einen Shilling übersehen hätte, wäre dieses groteske Spiel endlich zu Ende.
Etwas später sagte Lord Wyndleton wütend: „Ich hasse es.“
William war inzwischen in einer Stimmung, wo ihm alles gleichgültig schien. Und zu verlieren hatte er auch nichts. „Wie ich höre, interessieren Sie sich für die Wissenschaft.“
Keine Antwort.
Trotzdem nahm William es als eine stumme Aufforderung fortzufahren. „Dann sollte Ihnen die Beschäftigung mit Zahlen doch eigentlich gefallen.“
Lord Wyndleton zuckte nur die Achseln, blickte aber immer noch nicht auf. Er schlug das Buch wieder auf der ersten Seite auf und kehrte dann zur letzten Seite zurück.
Schließlich holte er tief Luft und erwiderte: „Zahlen gefallen mir sehr wohl. Wenn sie in einer wissenschaftlichen Gleichung auftauchen, zum Beispiel der Berechnung der Wahrscheinlichkeit. Die reine Arithmetik missfällt mir allerdings. Finanzen langweilen mich unsäglich. Es gibt keine Regeln, die man entdecken könnte, sondern nur Gelegenheit zu Fehlern.“
„Ach so“, sagte William. „Sie ziehen also die Analyse vor.“
Der Viscount beugte sich seufzend wieder über das Buch, lehnte sich dann aber abrupt zurück und sah zur Decke. „Ich will Ihnen verraten, wogegen ich wirklich eine Abneigung hege, nämlich gegen niedere Angestellte, die verworrene Fehler begehen und mich dazu verdammen, den Weihnachtsabend damit zu verbringen, staubige Kassabücher durchzusehen. Meine Abneigung nimmt noch zu, wenn besagter Angestellte mich von meinen Pflichten abzulenken versucht, indem er unentwegt vor sich hin plappert. Das bedeutet, Bill , dass ich eine Abneigung gegen Sie hege.“
„Da haben wir ja eines gemein“, konterte William ungerührt. „Ich hege eine tiefe Abneigung gegen Männer, die ein riesiges Vermögen nicht zu nutzen wissen. Sie sind so hilflos. Sie verbringen den Morgen damit, über Büchern zu schwitzen, statt zu Tattersall’s zu gehen und sich ein richtig schnelles Pferd zu besorgen.“
„Wenn mein Großvater nicht mein Vermögen kontrollierte, würde ich genau das tun.“ Der Viscount war wütend geworden, doch er sprach völlig im Ernst.
Verblüfft sah William ihn einen Moment lang nur an, während seine eigene Wut langsam verrauchte. „Sie haben wirklich nichts für Finanzen übrig“, sagte er schließlich. „Ihr Großvater besitzt nicht die
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