Weihnachtszauber 01
Altersfalten im Gesicht hinter dicker Schminke zu verbergen, würde er Perch auffordern müssen, ihn zu erschießen.
Er schob den bedrückenden Gedanken beiseite. Wenn er den Wein, die Weiber und das Spiel aufgab, blieb ihm nicht mehr viel zu tun, um die Stunden auf angenehme Art zu füllen. Sicher, er besaß ein großes Stadthaus voll kostbarer Möbel und mit einer gut sortierten Bibliothek, in der reichlich Lesestoff auf ihn wartete. Leider erinnerte Fleet House ihn stets an ein Mausoleum, und jetzt im Winter war es entsetzlich schlecht zu heizen. In der vergangenen Nacht war zu allem Unglück seine Wärmflasche ausgelaufen, was verständlicherweise seiner Nachtruhe und Erholung nicht gerade förderlich gewesen war.
„Dass der Brief von einer Dame kommt“, stellte er kühl fest, „habe ich auch bemerkt.
Ich frage mich nur, welche meiner ... Freundinnen auf diesem Weg versucht, mit mir in Kontakt zu treten.“
Die Miene des Butlers verriet, dass er am liebsten darauf hingewiesen hätte, sein Herr müsse nur das Siegel brechen, um herauszufinden, wer die Verfasserin des Schreibens war. Doch dann antwortete Perch pflichtbewusst: „Der Brief wurde von einem Boten in der Livree der Davencourts abgeliefert, Euer Gnaden.“
„Tatsächlich?“ Er griff nach der Teekanne, füllte seine Tasse und fuhr dann mit dem Messer unter das Siegel. Kleine Wachsstücke sprangen über den Tisch, wo sie sich mit Toastkrümeln vermischten. Perch stöhnte gequält auf – was Sebastian überhaupt nicht beachtete. Welchen Vorteil hätte es schließlich, ein Duke zu sein, wenn man nicht einmal Krümel um sich herum verteilen dürfte? Wie entsetzlich, wenn das Leben nur aus Pflichten bestünde! Immerhin kam er seinen herzoglichen Aufgaben stets gewissenhaft nach. Er hatte Fleet Castle, den Landsitz der Familie, renovieren lassen, behandelte seine Pächter gut, und wenn ein besonders wichtiges Thema behandelt wurde, nahm er sogar an den Sitzungen des House of Lords teil. Seine Tage waren gut durchorganisiert – und entsetzlich langweilig. Das Leben war eintönig und deprimierend, wenn man bereits alles getan hatte, was es zu tun gab.
Er faltete den Brief auseinander und las die Unterschrift.
Ihre ergebene Miss Clara Davencourt
Er stellte fest, dass er sich mehr freute, als der Angelegenheit angemessen schien.
Seit beinahe achtzehn Monaten hatte er Miss Davencourt nicht mehr gesprochen, sondern sie höchstens bei gesellschaftlichen Anlässen von Weitem gesehen. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sie sich zurzeit in London aufhielt. Nachdenklich nippte er an seinem Tee, während er den Inhalt des Schreibens überflog.
Euer Gnaden ...
Das war sehr viel formeller, als er erwartet hätte. Bei ihrem letzten Treffen hatte Miss Davencourt ihn – wie er sich deutlich erinnerte – einen überheblichen, eingebildeten und unhöflichen Kerl genannt.
Ich stecke gewissermaßen in einem Dilemma ...
Sebastian kniff die Augen zusammen. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Clara Davencourt in Schwierigkeiten steckte, konnte selbst dem stärksten Charakter Furcht einflößen.
... und brauche daher einen väterlichen Rat.
Jetzt spielte ein Lächeln um Sebastians Mund. Einen väterlichen Rat, um Himmels willen! Die junge Dame hätte keine treffenderen Worte finden können, wenn sie beabsichtigte, ihn zu kränken. Wollte sie ihn in seiner Überzeugung, der schlimmste Rake der Stadt zu sein, erschüttern? Er war zwölf Jahre älter als sie, das stimmte.
Doch selbst er hatte sein ausschweifendes Leben nicht so jung begonnen, dass er nun Vater einer erwachsenen Tochter hätte sein können.
Mein Bruder wird momentan völlig von verschiedenen Staatsgeschäften in Anspruch genommen, sodass ich mich nicht an ihn wenden kann. Und jene seiner Freunde, die als Ratgeber infrage kämen, sind gerade nicht erreichbar. Daher bleiben nur Sie übrig.
So ein Frechdachs! Sebastian stieß einen tiefen Seufzer aus. Miss Davencourt wusste wirklich, wie man eine Beleidigung geschickt in Worte fasste.
Ich möchte Ihnen keine Ungelegenheiten bereiten. Doch tatsächlich bleibt mir keine andere Wahl, als Sie um Hilfe zu bitten. Wenn Sie so bald wie möglich in Davencourt House vorsprechen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Sebastian lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Junge Damen aufzusuchen, um die Rolle des väterlichen Freundes zu spielen, entsprach so wenig seinem Charakter, dass ihm die Vorstellung geradezu absurd erschien. Er fragte sich, was Clara wohl
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