Weil deine Augen ihn nicht sehen
hatte er mit ihm eine Reihe von Einbrüchen verübt. Sie waren nie
erwischt worden, weil Lucas stets vorsichtig geblieben war. So hatten sie keines ihrer Verbrechen in Connecticut begangen, weil Lucas nichts davon hielt, das eigene Nest zu beschmutzen. Die Geschichte, an der sie jetzt dran waren, erwies sich zwar als äußerst riskant, war allerdings ein zu großes Ding, als dass man sie sich hätte entgehen lassen können, und so hatte er gegen seine eiserne Regel verstoßen.
Er sah zu, wie Clint die Flasche öffnete und die Gläser bis zum Rand füllte. »Auf nächste Woche, wenn wir in St. Kitts in einem Boot herumschippern werden, die Taschen voller Kohle«, sagte Clint, während er Lucas mit einem hoffnungsvollen Lächeln in die Augen sah.
Wieder warf Lucas einen abschätzigen Blick auf seinen Kumpan. Clint war Anfang vierzig und hoffnungslos aus dem Leim gegangen. Fünfzig Pfund zu viel auf den Rippen – dabei war er schon von Natur aus ziemlich kurz geraten – ließen ihn schnell ins Schwitzen kommen, selbst in einer Märznacht wie dieser, in der es empfindlich kühl geworden war. Der tonnenförmige Brustkorb und die dicken Arme standen in einem merkwürdigen Missverhältnis zu seinem jungenhaften Gesicht und dem langen Pferdeschwanz, den er sich hatte wachsen lassen, weil seine langjährige Freundin Angie auch einen hatte.
Angie. Dünn und ausgemergelt wie eine Dörrzwetschge, dachte Lucas verächtlich. Ein Gesicht wie eine Leiche. Genau wie Clint wirkte sie immer schlampig angezogen, in ihrem ausgeleierten T-Shirt und ihren ausgefransten Jeans. In Lucas’ Augen war das einzig Gute an ihr, dass sie viel Erfahrung als Babysitterin besaß. Nichts durfte den beiden Kindern zustoßen, bevor sich das Lösegeld in ihren Händen befand und sie die beiden irgendwo wieder loswerden konnten. Immerhin fiel Lucas doch noch etwas ein, was für Angie sprach. Sie war gierig. Sie war scharf auf das Geld. Sie wollte unbedingt auf einem Boot in der Karibik leben.
Lucas setzte das Glas an die Lippen. Der Chivas Regal fühlte sich weich an auf der Zunge, und seine Wärme war wohltuend, als er die Kehle hinunterrann. »So weit, so gut«, sagte er teilnahmslos. »Ich hau jetzt ab. Hast du das Handy griffbereit, das ich dir gegeben habe?«
»Ja.«
»Wenn der Boss sich meldet, sag ihm, ich muss morgen um fünf Uhr in der Früh jemanden abholen. Ich werde mein Handy abschalten. Ich brauche ein bisschen Schlaf.«
»Wann kriegt man den eigentlich mal zu sehen?«
»Gar nicht.« Lucas kippte den Rest Scotch hinunter und rückte den Stuhl vom Tisch. Aus dem Schlafzimmer war Angie zu hören, die immer noch an die Zwillinge hinsang.
»Sie waren Schwestern, und wir waren Brüder, und beide liebten wir sie …«
2
DAS GERÄUSCH QUIETSCHENDER Bremsen vor dem Haus war für Captain Robert »Marty« Martinson von der Polizei Ridgefield das Zeichen, dass die Eltern der entführten Zwillinge zurückgekehrt waren.
Nur wenige Minuten nach Eingang des 911-Notrufs hatten sie sich telefonisch bei der Polizeiwache gemeldet. »Ich bin Margaret Frawley«, hatte die Frau mit vor Angst bebender Stimme gesagt. »Wir wohnen in der Old Woods Road Nr. 10. Wir können unsere Babysitterin nicht erreichen, weder auf unserem Hausanschluss noch auf ihrem Handy. Sie sollte eigentlich da sein und unsere drei Jahre alten Zwillinge hüten. Vielleicht ist etwas passiert. Wir befinden uns auf dem Rückweg von New York.«
»Wir werden sofort rüberfahren und nach dem Rechten sehen«, hatte ihr Marty versprochen. Weil die Eltern auf dem Highway unterwegs waren und sich offensichtlich bereits große Sorgen machten, hatte er keinen Sinn darin gesehen, ihnen zu sagen, dass tatsächlich etwas Schlimmes passiert war. Kurz vorher hatte der Vater der Babysitterin aus dem Haus Nr. 10 in der Old Woods Road angerufen: »Ich habe meine Tochter gefesselt und geknebelt aufgefunden. Die Zwillinge, die sie gehütet hat, sind spurlos verschwunden. Im Schlafzimmer liegt ein Zettel mit einer Lösegeldforderung.«
Eine Stunde war seitdem vergangen, und inzwischen waren das gesamte Grundstück und die Auffahrt bereits mit Bändern abgesperrt worden, und die Spezialisten der Spurensicherung mussten jeden Augenblick eintreffen. Marty hätte gerne verhindert, dass die Medien frühzeitig von der Entführung Wind bekamen, doch das war ein aussichtsloses Unterfangen. Er hatte bereits erfahren, dass die Eltern von Trish Logan in der Notaufnahme, in die man sie zur Untersuchung
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