Weil du fehlst (German Edition)
mochte ihn. Ja, ich mochte ihn wirklich.
»Zelda hat euch zugehört«, sagte ich leise. »Sie …«
Ich suchte das richtige Wort.
»… sie – erpresst mich damit.«
Das klang ja völlig bescheuert. Abgedroschen. Idiotisch. Am liebsten wäre ich vor dem Wort auf die Flucht gegangen, aus der verdammten Küche gestürmt, hätte die Tür hinter mir zugeschlagen und mich in meinem Zimmer verkrochen vor so viel Schwachsinn.
»Sie will es sonst Mr Shoemaker sagen …«, sagte ich stattdessen und tat alles andere nicht.
Darius machte ein verwirrtes Gesicht.
»Was will sie denn von dir haben? Schweigegeld?«
Er lachte kurz und nicht fröhlich auf.
Ich schüttelte den Kopf.
»Sondern?«, hakte Darius nach.
Ich sagte es ihm.
Und Darius flippte aus, brüllte, wie bescheuert das denn sei, und dass er gleich kotzen müsse, und dass wir ihm alle mal den Buckel runterrutschen könnten, und dass er die Schnauze komplett voll habe, und dass er in mich verliebt gewesen sei, ich aber nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als auf seiner Seele herumzutrampeln, als wäre er nichts weiter als Bullshit.
Dann machte er, was ich unterlassen hatte. Er stürmte hinaus, knallte die Tür hinter sich zu, und gleich darauf heulte der Motor seines Pick-ups auf. Danach war es fürchterlich still. Eine fürchterlich lange Zeit.
Kommunikationsversuche des Einundzwanzigsten Jahrhunderts :
Ich versuchte Oya auf ihrem Handy zu erreichen, aber es war abgeschaltet. Ich versuchte es bei Jonnas Großmutter in Göteborg, aber nur ein schwedischer Anrufbeantworter nahm meinen Anruf entgegen. Ich wagte es in meiner Verzweiflung sogar, Elijas Nummer anzuwählen, aber er hielt es wie Oya: Sein Handy war aus.
Dafür zeigte mir mein Handydisplay die entgangenen Anrufe von Selma, Gretchen und Mercedes an. Ich ignorierte sie.
Irgendwann kam Rabea nach Hause.
»Ist irgendetwas?«, fragte sie mich und zog ihre Jacke aus. Ich saß in der zum ersten Mal seit unserem Einzug aufgeräumten Küche am komplett leeren Küchentisch und hatte immer noch meine Jacke an.
»Du meinst, außer der Sache mit Raymond, den du im Stich gelassen hast, als er dich am dringendsten brauchte?«, begann ich und hob den Kopf. »Und außer Len, den du mich hast vergessen lassen, und außer Oya, die gegangen ist, weil sie das alles nicht ausgehalten hat, und außer unseren ungefähr tausend hysterischen Umzügen …?«
Ich schrie plötzlich wie von Sinnen.
Und dieses Mal hatte ich keine Lust auf einen Spießrutenlauf aus Schreien, Weinen, Schweigen.
Diesmal nahm ich, nachdem ich mein Geschrei abrupt gestoppt hatte, Rabeas Wagen. Dabei hatte sie heute Abend ihre Supervisionsgruppe im Gefängnis, so wie jeden Donnerstag, und würde ihr Auto brauchen. Aber nichts war mir egaler in diesem Moment.
»Kassandra, warte …«, rief mir Rabea hinterher, aber den Gefallen tat ich ihr nicht.
Beim Losfahren warf ich einen raschen Seitenblick auf das Haus der Wards. Was Zelda wohl gerade tat? Ob sie schon mit ihrem Vater gesprochen hatte über – Elija und mich? Oder gab sie mir noch eine Schonfrist, eine Kupplerdienste-Schonfrist? Zelda musste es noch viel mieser gehen, als Oya und ich je vermutet hatten. Was glaubte sie eigentlich, was ich tun könnte für sie und Darius? Wie ich dafür sorgen sollte, dass er sich für sie interessierte?
»Kassandra?«
»Oya? Dass du anrufst! Wie spät ist es bei euch?«
»Bald Mitternacht, natürlich …«
»Oh, Oya …«
»Ich habe gesehen, dass du angerufen hast. Auf meinem Handy. Und bei Alva. Ich meine, bei Jonnas Großmutter.«
Ich fuhr an den Straßenrand, um keinen Unfall zu provozieren, weil ich schon wieder so irrwitzig zitterte.
»Oh, Oya …«, sagte ich erneut und umklammerte mein Handy, dass ich fast Angst hatte, es kaputtzumachen.
»Kassandra, was ist nur los bei euch? Gretchen hat mich gerade angemailt. Wegen dieser Sachen, die heute ständig auf der Woodrow-Wilson-Schulpinnwand verbreitet worden sind, ehe die Seite geschlossen wurde …«
Oyas Stimme klang besorgt.
Gretchen? Schulpinnwand?
»Oh, Kas, irgendein unbekannter User mit Namen Zucht und Ordnung oder so hat geschrieben, du hättest regelmäßig Sex mit Mr Rosen … Draußen in der McKinley-Wildnis. Und dafür gäbe es auch Zeugen.«
Ich schloss die Augen, presste mein Handy aber weiter fest ans Ohr. Ich spürte förmlich, wie sich mein Gehirn, mein ganzer Kopf glühend erwärmte, sich mit Elektrosmog auflud. Wellen aus Angst, Hitze, irrationalen,
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