Weinland & Stahl
größer, reifer. Sein Gesicht war nicht mehr das eines Neugeborenen. Dieser Eindruck schien ihr nur noch wie eine Maske über seinen neuen Zügen zu liegen, die zu denen eines Drei- oder vielleicht auch Vierjährigen geworden waren. Und seine Arme und Beine – streckten sie sich nicht? Konnte sie das Wachsen seiner Knochen nicht sogar – hören?
Heaven blinzelte, doch das Bild änderte sich nicht.
Das Kind wuchs in ihrem Arm.
Und sie spürte sogar, dass es schwerer wurde!
Aber ihr blieb nicht genug Zeit, sich wirklich darüber zu wundern.
Denn sie war nicht allein mit dem Kind.
Auch wenn sie die anderen für diese paar Sekunden vergessen hatte, waren sie noch da. Und sie kamen näher, mit schleifenden Schritten, die die Asche vom Boden aufwirbelten.
Ehe Heaven sich versah, hatten die Nonnen einen Kreis um sie gebildet.
Eine Front, die sie nicht ohne Gewalt würde durchbrechen können.
Schon gar nicht mit einem Kind im Arm.
"Was jetzt?" fragte Heaven und ließ den Blick von einer Nonne zur anderen wandern. Es mochten zwei Dutzend traditionell gekleideter Ordensschwestern sein, die sie da umstanden. Alles andere als traditionell waren indes die Blicke, mit denen sie die Halbvampirin bedachten. Sie ließen gar nicht erst den Gedanken aufkommen, es mit Dienerinnen Gottes zu tun zu haben. Soviel Hass, soviel Böses konnte nicht in jemandem sein, der sich einem Leben ganz im Glauben verschrieben hatte.
Was hatten die Blutsauger diesen Frauen nur angetan? Und wie sollte sie, Heaven, ihnen helfen? Sie wusste, wie schwierig und gefährlich es war, einen Mensch aus dem vampirischen Bann zu befreien. Dazu brauchte es Sorgfalt und Ruhe, und selbst dann war es ungewiss, ob es gelang.
Aber wie sollte sie mehr als zwanzig Hypnotisierten helfen, von denen jede einzelne sie ansah, als würde sie Heaven am liebsten jetzt und hier den Hals umdrehen?
Es gab nur eine Möglichkeit, und deren Durchführung schien Heaven schlichtweg unmöglich.
Sie hätte die Schwestern allesamt kampfunfähig machen müssen, um sich dann einer nach der anderen anzunehmen.
Aber – wie um alles in der Welt sollte ihr das gelingen?
"Gib mir mein Kind."
Eine der Schwestern war vorgetreten. Ihre blauen Augen blitzten stählern, und um ihren Mund lag ein Zug, der in seiner Härte jedem Krieger zur Ehre gereicht hätte. Sie hatte nicht einmal sehr laut gesprochen, doch in ihrer Stimme war ein Ton, der Heaven um Haaresbreite dazu veranlasst hätte, ihrer Aufforderung einfach zu gehorchen.
Sie besann sich gerade noch und fragte: "
Dein
Kind?"
"Ja, mein Kind. Ich habe es zur Welt bringen dürfen, und meine Pflicht ist, es zu schützen."
"Du willst es schützen?" Heaven lachte hart auf. "Und dann überlässt du es einer Horde von Vampiren? Ein schöner Schutz ist das!"
"Du verstehst nichts von dem, was hier vorgeht", erwiderte Mariah, und in ihren Worten klang tatsächlich etwas wie Bedauern mit. Als würde sie Heaven im Grunde ihres kalten Herzens wünschen, dass sie an diesem unsagbaren Wunder hier teilhaben könnte.
"Dann erkläre es mir", forderte die Halbvampirin und wich einen halben Schritt zurück, als die Nonne ihrerseits ein wenig vortrat.
Mariah schüttelte den Kopf. "Es ist nicht zu erklären. Man versteht es oder nicht. Wer es verstehen soll, dem offenbart es sich selbst."
Nun, zu der Partei dieser zweifelhaft Glücklichen zählte Heaven aus irgendwelchen Gründen nicht.
"Gib es mir." Mariah streckte die Arme aus.
Heaven schüttelte den Kopf. "Nein. Wir werden etwas anderes tun."
Sie trat an die Wiege und legte das Kind wieder hinein.
"Wenn ihr es wollt, müsst ihr es euch holen", erklärte Heaven.
Das wiederum ließen sich die Schwestern nicht zweimal sagen.
Wie auf ein geheimes Kommando hin stürzten sie vor. Sie zogen den Kreis, dessen Mittelpunkt die Krippe und Heaven bildeten, enger, und in der nächsten Sekunde waren sie über der Halbvampirin.
Wenn ihre Schätzung von vorhin nicht falsch gewesen war, dann waren es jetzt rund fünfzig Hände und Fäuste, die nach ihr griffen und schlugen, und diesem Ansturm war auch Heaven nicht gewachsen.
Sie schaffte es, sich zwei oder drei der Gegnerinnen mit Tritten und Stößen vom Leib zu halten, doch der Rest genügte völlig, sie regelrecht niederzurennen und unter schwarzgekleideten Körpern einfach zu begraben.
Dass eine Nonne sich nicht an dem Angriff beteiligte, bekam Heaven gar nicht mit.
Mariah nahm ihren Sohn aus der Krippe, erwiderte für Sekunden sein
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