Weinland & Stahl
jener Nacht, da sie den kleinen Nehru mit diesem 'magischen Ritual' zu Bett brachte, schlief der Fünfjährige endlich, ohne von fürchterlichen Alpträumen geplagt zu werden.
Nehru lächelte seine Mama glücklich an, und seine großen braunen Augen glänzten im Widerschein der Kerzenflamme, als wollten sie gierig jedes Quäntchen davon einfangen, um es für die Nacht zu bewahren.
»Nun schlaf schön, mein Kleiner«, sagte sie und strich ihrem Sohn noch einmal durch den schwarzen Lockenschopf.
Als nähme sie Abschied...
Sie fuhr erschrocken zusammen.
Was war das für ein Gedanke? Wo kam er her?
Doch er verging.
Dennoch warf sie an der Tür noch einen Blick zurück; einen Blick, der ihren Sohn nur streifte und auf der Kerze verweilte. Als wünschte sie sich, es würden dem Licht tatsächlich schützende Kräfte innewohnen...
Sie schloss die Tür so wie Nehru die Augen, auf die Wahrheit in den Worten seiner Mutter vertrauend.
Wie er es in den Nächten vorher hatte tun können.
Doch nicht heute Nacht.
Nach einer Weile schlug Nehru die Augen auf, als der Schlaf nicht wie sonst gekommen war. Oder war er etwa gekommen und hatte ihn einmal mehr hinaus gespien in jenes Reich, in dem finstere Dämonen lebten und nur darauf warteten, dass Bruder Schlaf ihnen neue Opfer zuführte?
Nehru sah sich um.
Er befand sich nach wie vor in der kleinen Kammer, in der kaum Platz war für sein Bettchen und die doch groß genug war, um dunklen Schatten Raum zu geben – genug Raum sogar, dass sich
hinter
den Schatten
noch
etwas
verbergen konnte...
Hilfesuchend sah Nehru zu der Kerze, deren Licht ihm jetzt auf einmal schwächer schien als zuvor. Als würden die Schatten von ihrem Schein zehren. Stets dort, wo Licht und Dunkelheit eins wurden, entdeckte Nehru wogende Bewegung, die näher kam – und erstarb, wenn er allzu lange hinschaute.
Und doch konnte er sich nicht täuschen.
Das Licht der duftenden Kerze reichte jetzt kaum noch von der Schale bis an sein Kissen heran. Schwärze verschlang das Licht, und Schwärze würde auch ihn fressen.
Gleich.
Jetzt!
Mit einem winzigen Schrei rettete sich Nehru ins Wachsein.
Oder nicht?
Das Zimmer war nicht wie sonst, wenn er nach einem Traum die Augen öffnete.
Es war – nicht leer.
Er war – nicht allein.
Der Fremde schien Nehru so groß, als würde er die Kammer zum Bersten ausfüllen. Obwohl der Dunkelgekleidete doch nur dastand, nichts tat, ihn nur ansah.
An
starrte
.
Kühle Nachtluft drang durch das offenstehende Fenster, doch nicht nur der Zug ließ Nehru frösteln.
»Du bist für Großes ausersehen, mein Kleiner«, sagte der Mann mit der seltsam geformten Narbe im Gesicht.
»Wer...?«, brachte Nehru hervor, doch seine Worte verwehten ungehört.
»Komm mit mir.«
»Nein«, sagte Nehru und ließ sich von dem Fremden doch bereitwillig in die Arme schließen.
Als der Junge wenig später die verzweifelten Rufe seiner Mutter hörte, schwebte er längst schon im Schatten mächtiger Schwingen durch die Nacht.
Seine eigenen Schreie erstickten hinter angstversiegelten Lippen.
Die Arme ausgebreitet wie einst der Gekreuzigte trat Bahid dem Mob entgegen und bot ihm die Brust offen dar.
»Was ist?«, fragte er. »Tut, weswegen ihr gekommen seid.«
»Es gibt euch tatsächlich«, murmelte einer der Männer. »Die Brut der Nacht.«
»Brut der Nacht!«, rief Bahid leutselig. »Wir sind auch am Tage unter euch, ihr Narren.«
»Beni!«
Der Schrei zitterte durch den Keller, als einer der Männer vorstürzte und neben einer der Leichen in die Knie ging. Neben jener, die Boram vorhin als Braut erkannt hatte. Und es war nicht schwer zu erraten, dass der Mann, der da ihren baumelnden Kopf in die Hände nahm, ihr Zukünftiger gewesen wäre.
Doch er hielt sich nicht lange mit Trauerklagen auf. Dafür mochte später Zeit sein. Jetzt war die Zeit für Sühne und Vergeltung!
Wie ein Kastenteufel sprang der junge Mann auf und kam mit glühendem Blick und verzerrtem Gesicht auf die Vampire zu.
»Ihr habt mein Leben zerstört«, fuhr er auf.
Bahid zuckte lächelnd die Schultern und wies in die Runde.
»Ich habe eine Menge Leben zerstört.«
Boram riss ihn zurück. »Schweig endlich, du Wahnsinniger.« Und an den jungen Bräutigam gewandt, der den Pflock stoßbereit in zitternden Händen hielt, sagte er: »Sieh mich an.«
Die Befehlsgewalt seiner Worte zermalmte den Willen des Menschen. Widerstrebend hob er den Blick und verlor sich in Borams Augen.
»Leg den Pflock
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