Weiß wie der Tod
und das Video quer durch die Republik geschickt haben. Bei einigen sichergestellten Handys tauchte dieses Video in der Folgezeit auf. Wir haben es hier mit einem neuen Trend bei den Kids zu tun, die sich über Ländergrenzen hinweg gegenseitig zu neuen Taten anstacheln. Wieso also nicht in Hamburg?«
»Okay, das ist eine Möglichkeit«, beschied Michaelis. »Doch halte dich nicht zu lange damit auf, wenn du merkst, dass du in eine Sackgasse läufst.
Alexej, woran arbeitest du?«
Ein kurzer Blick zwischen Benguela und Naumov. »Er hilft mir bei meinen Recherchen«, antwortete Benguela an seiner statt.
Michaelis war davon nicht begeistert. »Wir brauchen ihn bei unseren Fällen.«
»Kein Problem«, sagte Naumov, »ich bin so weit fertig und stehe dir wieder zur Verfügung.«
»Gut. Nun zu Johanna. Falk, bist du weitergekommen?«
Gudman bat um eine Sekunde Geduld. Er verabschiedete soeben Greta Harmstorf. »… dann erwarte ich die Eltern von Jette Friis heute Abend. Sie sollen an der Pforte nach Falk Gudman fragen. Der Kollege weiß Bescheid. Ja, ich danke Ihnen auch.«
Er legte auf. »Du hattest recht«, sagte er zu Benguela, »diese Greta Harmstorf ist wirklich sehr aktiv.« Dann zu Michaelis: »Ich habe gerade mit der Geschäftsführerin dieser Selbsthilfeorganisation für Kriminalitätsopfer gesprochen. Es geht um sechs vermisste Frauen, die nicht in unserer Vermisstendatei auftauchen, aber im Alter von Johanna und seit Februar verschwunden sind.
Eine dieser Frauen, Jette Friis, wird seit dem 5. Februar in Dänemark vermisst. Sie war mit dem Zug zu einem Bewerbungsgespräch von Arhus nach Sonderborg, das ist eine Stadt in der Nähe der deutschen Grenze, unterwegs. Sie ist aber nie dort angekommen. Die dänischen Kollegen ermitteln bereits in der Sache.
Die Eltern dieser Jette Friis haben sich an die Weiße Lilie gewandt und halten sich zurzeit in Kiel auf. Sie wollen in zwei Stunden zu einer Blutabnahme nach Hamburg kommen. Diese können wir dann mit Johanna vergleichen.«
»Sehr gut«, sagte Michaelis, »dann geht es also auch mit Johanna voran. Wo steckt eigentlich Dragan?«
Benguela beantwortete ihre Frage: »Die Kollegen haben ihn zu einem Leichenfund gerufen.«
»Wieso ihn? Die haben doch ihre eigenen Leute.«
»Irgendwas soll mit der Leiche sein.«
»So geht das nicht. Ich brauche meine Mitarbeiter hier.«
Sie griff zum Telefon und wählte die Nummer von Milanovic’ Handy. »Wo steckst du?«, fragte sie ungehalten.
Michaelis hörte eine Weile zu. Dann legte sie auf. »Naima, komm, es gibt Arbeit.«
Die beiden waren bereits an der Tür, als Michaelis sich umdrehte. »Levy. Komm am besten gleich mit.«
32
Silbersackstraße, keine zehn Minuten von Levys Wohnung entfernt. Ein Keller war vollgelaufen, und der Hausmeister, ein stämmiger Pole, hatte beherzt zum Pickel gegriffen, um das verstopfte Bodengitter anzuheben. Das Gitter mochte sich jedoch einfach nicht vom Boden lösen. Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen und hatte schließlich Erfolg. Gitter, ein Stück Beton und eine menschliche Hand kamen aus der braunen Brühe zum Vorschein.
Nachdem die Feuerwehr das Wasser abgepumpt hatte, erkannte man schnell, dass hier ein menschlicher Körper in den Beton eingearbeitet worden war. Die Mischung war nicht professionell gewählt, sodass es der Feuerwehr zügig gelang, den Rest des Mannes freizulegen.
Unter Scheinwerferlicht inspizierte Dragan Milanovic den Leichnam. Er war gut erhalten und zeigte kaum Anzeichen von Verwesung, was auf den fehlenden Sauerstoff zurückzuführen war. Weit auffälliger als das erschien Milanovic das Verletzungsmuster bei diesem Mann. Aufgrund der typischen Spuren, die Stockschläge hinterlassen, hatte er unverzüglich Michaelis herbeigerufen. Sie betrachtete gemeinsam mit Naima und Levy den Leichnam.
»Ich nehme an«, sagte Michaelis, »wir haben es hier mit Opfer Nummer drei zu tun.«
»Nummer eins trifft es besser«, antwortete Milanovic. »Der Mann liegt hier schon länger.«
»Wie lange?«, fragte Levy.
»Schwer zu sagen. Man müsste den Hausmeister fragen, wann zum letzten Mal der Boden neu gemacht wurde. Dann wüssten wir es genau.«
Naima übernahm diese Aufgabe und ging vor die Tür.
»Unser Täter ist somit weit länger aktiv, als wir dachten«, sagte Michaelis. »Was meinst du, Levy?«
Er antwortete nicht. Sein Finger strich über die braun vertrocknete, pergamentartige Haut des Toten. Mehrfach ertastete er Knochenbrüche an Armen und Beinen.
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