Weisses Gold
Zwangsarbeit und auf schockierende Berichte über Audienzen beim marokkanischen Sultan. Es fanden sich Aussagen verängstigter Opfer des makabren Humors der Sklavenhändler und Bittschriften der »Sklavenwitwen«, die für ihre Männer um Gnade und Freiheit flehten. Ich fand sogar hochtrabende Schreiben des Sultans, in denen er von den Königen Großbritanniens und Frankreichs verlangte, sie sollten zum Islam konvertieren.
Viele dieser Dokumente lagen nur als Handschriften vor. Beispielsweise wurde das außergewöhnliche Tagebuch von John Whitehead, der als Sklave in Meknes festgehalten wurde, nie veröffentlicht. Die Erfahrungsberichte anderer Sklaven wurden in so geringen Auflagen gedruckt,dass nur eine Handvoll Exemplare erhalten geblieben sind. Im St. Anthony’s College in Oxford tauchte eine Schrift des französischen Mönchs Jean de la Faye auf.
Besonders faszinierend waren die Zeugnisse der Sklaven. Die Geschichte des Handels mit weißen Sklaven ist die Geschichte von Menschen, die in einem unvorstellbaren Albtraum gefangen waren. Die meisten von ihnen mussten bis zu ihrem Tod in einer Hölle auf Erden ausharren, doch einigen wenigen gelang es, ihren Besitzern zu entkommen. Jene, die es bis in die Heimat schafften, waren allesamt vollkommen verarmt. Eine Möglichkeit, wieder eine Existenz aufzubauen, war die Veröffentlichung ihrer Geschichte, um wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen.
Jene Sklaven, die dieses Martyrium überlebten, hatten durchweg schweren seelischen Schaden genommen. Ihre entsetzlichen Erlebnisse zu Papier zu bringen, half ihnen dabei, ihre Vergangenheit zu bewältigen und sich wieder in eine Gesellschaft einzufügen, in die zurückzukehren sie nicht mehr gehofft hatten. All jene, die ihre Geschichten aufzeichneten, hatten beispiellose Brutalität erlebt und grauenhafte Erfahrungen gemacht. Trotz der zeitlichen Distanz wirken ihre Berichte auch auf den heutigen Leser zutiefst erschütternd. Diese Erzählungen sind nur selten eine angenehme Lektüre, doch oft findet man darin Lichtblicke des Heldenmuts und der Selbstlosigkeit: eine Geste der Menschlichkeit seitens eines Wärters, die tröstende Umarmung eines Geistlichen. Solche Signale riefen den Gefangenen in Erinnerung, dass sie immer noch der Menschheit angehörten.
Einer der bemerkenswertesten Berichte über die Erfahrungen der europäischen Sklaven stammt von Thomas Pellow, der als Kabinenjunge auf dem kleinen Handelsschiff
Francis
zur See fuhr, als dieses von Korsaren gekapert wurde. Pellow lernte den Glanz am Hof des Sultans Mulai Ismail kennen und sah mit eigenen Augen die Rücksichtslosigkeit dieses ebenso listigen wie fürchterlichen Herrschers über das maghrebinische Königreich. Doch er war viel mehr als ein bloßer Chronist der Ereignisse. Als Sklave im persönlichen Dienst des Sultans geriet Pellow ungewollt mitten in den Strudel der Intrigen am Hof Mulai Ismails hinein. Er diente als Wärter des Harems, führte Sklavensoldaten in den Kampf gegen aufständische Stämme und nahm an einer gefährlichen Expedition zur Sklavenjagd in Äquatorialafrika teil. Er konvertierte unter der Folter zumIslam, unternahm drei Fluchtversuche und wurde zweimal zum Tod verurteilt.
In Pellows Bericht tummelt sich ein buntes Sammelsurium von Figuren. Er erzählt von kräftigen Eunuchen und brutalen Sklaventreibern, von Hofhenkern und schurkischen Piraten. Und über ihnen allen thront der Sultan Mulai Ismail, dessen lange Regierungszeit von der Errichtung seines gewaltigen und opulenten Palastkomplexes beherrscht war.
Lange Zeit wurde angenommen, die Schilderung Pellows – die zur Veröffentlichung von einem der Schreiberlinge aus der Grub Street ausgeschmückt wurde – habe wenig mit der Realität zu tun gehabt. Mittlerweile ist klar, dass dies ein Fehlurteil war. Der Wahrheitsgehalt der ersten Kapitel seines Berichts wird durch Briefe seiner Kameraden von der
Francis
bestätigt, und die Darstellung der späteren Jahre deckt sich mit den Berichten europäischer Konsuln, die ihm in Marokko begegneten. Auch die arabischen Chroniken stützen seine Version. Die Neuübersetzung der
Chroniken
von Muhammad al-Qadiri beweist, dass Pellow die Geschehnisse im marokkanischen Bürgerkrieg bemerkenswert getreu wiedergab. Seine Schilderung des Lebens in Meknes deckt sich ebenfalls mit den marokkanischen Quellen. Sowohl Achmed es-Sajjani als auch Achmad bin Chalid al-Nasari zeichneten ein ganz ähnliches Bild vom Leben in der Königsstadt.
Thomas
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