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Weit weg ... nach Hause

Titel: Weit weg ... nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Ferne.
    Luisa hat keine Ahnung, wo sie sein könnten, hat keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist. Langsam wälzt sich das Frachtschiff
     durch das braune Rheinwasser. Sie weiß nur, dass sie bald die Schweiz erreichen möchte. Sie fühlt sich gar nicht gut. Der
     Schleier vor ihren Augen zerreißt und sie schaut aufs Wasser: Plötzlich schaukelnWellen und Dörfer durch ihren Kopf. Ängstlich stellt sie fest, dass das Schiff keine Reling hat, sondern nur ein dünnes Stahlseil,
     das vom Bug bis zum Heck gespannt ist. Hilfesuchend dreht sie sich zu Freddy um.
    »Ich geh vor! Gib mir deine Hand!«, sagt er.
    Dankbar folgt sie ihm zur Kontrollbrücke, wo der Kapitän hinter dem Ruder sitzt. Er streckt ihr seine riesige Prankenhand
     entgegen.
    »Und du bist also Luisa!«, sagt er mit seiner warmen, tiefen Stimme. »Willkommen an Bord! Ich glaube, heute werden viele Menschen
     sehr, sehr glücklich sein, wenn sie hören, dass du lebst.«
    Luisa begrüßt ihn müde und erschöpft und murmelt ein leises »Guten Tag«.
    Der Kapitän schüttelt länger als normal Luisas Hand, die gänzlich in seiner verschwindet, und plötzlich schaut er sehr besorgt.
     »Fühlst du dich gut, mein Kind? Möchtest du mir vielleicht etwas erzählen?«
    Luisa schüttelt den Kopf.
    »Du weißt«, fährt er fort, »ich muss jetzt die Polizei benachrichtigen, sonst werde ich womöglich wegen Entführung oder Kindesraub
     hinter Gitter gesteckt.«
    Luisa lächelt matt: »Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben? Ich hab furchtbaren Durst.«
    Der Kapitän geht mit Luisa in die Kajüte, Freddy bleibt auf der Kommandobrücke zurück und lenkt das Schiff.
    »Was ist los mit dir, Kind?«, fragt Freddys Vater. »Hast du Fieber?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht, ja!«, antwortet sie kleinlaut.
    »Hast du dich erkältet?«
    »Nein. Ich glaub nicht. Mein Bein tut so weh!«
    »Was ist denn los mit deinem Bein?«
    Und Luisa erzählt dem Kapitän die Geschichte mit dem rostigen Nagel, während sie das Hosenbein ihrer Jeans nach oben rollt.
    Der Kapitän erblasst unter seiner Bräune:
    »Schau mal«, sagt er, »da ist ein roter Streifen. Lass mich mal sehen, wo der endet. Um Himmels willen, Mädchen, du hast eine
     Blutvergiftung. Das ist sehr gefährlich!«
    Auf dem Gesicht des Kapitäns bilden sich helle Flecken, dann greift er zu seinem Handy, hektisch wählt er eine Nummer.
    Jetzt ist alles vorbei!, denkt Luisa. Jetzt ruft er die Polizei.
    Dann hört sie, wie er mit jemandem spricht,aber ihr ist mittlerweile alles egal, ihr Kopf fühlt sich an, als stecke er in einer Wattepackung. »Gefährlicher Streifen«,
     hat der Kapitän gesagt, »Blutvergiftung«, die Wörter rauschen durch ihren Kopf, jagen sich. Wortfetzen dringen dumpf an ihr
     Ohr, sie hört, dass ihr Leben in Gefahr sei, dass sie sofort ins Krankenhaus müsse. Eigentümliche Gedanken schwirren durch
     ihren Kopf: Muss ich jetzt doch sterben? Bin ich jetzt auf dem Weg zu den langweiligen Seelen?
    Die Stimme des Kapitäns klingt ruhig, als er weiterspricht:
    »…   kann nicht anlegen auf den nächsten Rheinkilometern, nein, das Vorwärtskommen ist beschwerlich durch das Hochwasser. Ja, ein
     Hubschrauber, okay! Ist das nicht riskant? Verstehe, Warten ist riskanter, was kann ich vorbereiten?«
    Luisa trinkt das Wasser in kleinen Schlucken, ihr Kopf wird immer heißer, ihr Körper glüht. Alles tut weh!
    Jetzt telefoniert der Kapitän mit ihrer Mutter. Sie hört Katjas aufgeregte, tränenreiche Stimme. Schluchzer unterbrechen ihre
     abgehackten Fragen. Luisas Gedanken wandern weg zum Zürichsee. Sie ist ihrem Ziel doch schon so nah. Müde legt sie den Kopf
     auf die Arme. Ihre Augen fallenzu: Sie liegt bäuchlings auf der Wiese im Gras und sucht vierblättrige Kleeblätter, das hat sie immer mit Karolin gemacht.
     Und meistens hat sie eins gefunden. Das war eine Freude, weil sie fest daran glaubte, dass mit vierblättrigen Kleeblättern
     das Glück kommt.
     
    Ein anschwellendes Brummen und ohrenbetäubendes Rattern, als nähere sich ein überdimensionaler Mähdrescher, reißen Luisa aus
     ihrem Traum. Verstört schaut sie aus dem Fenster: Über dem Frachtschiff, das seine Fahrt verlangsamt hat, rotiert der gelbe
     Notarzthubschrauber. Er kreist mehrmals über dem Rhein, bis er sich langsam genau über der Ladung hinabsenkt. Eine Hubschraubertür
     öffnet sich, ein Mann in einem orangefarbenen Anzug hockt in der Ausstiegsluke, hält sich mit beiden Händen fest. Dann seilt
     er sich

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