Weiter weg
Meinung gewesen, dass amerikanische Leser sich für Australier interessieren würden.
Wer zu diesem späten Zeitpunkt noch einmal die Aufmerksamkeit auf den Roman lenken möchte, der müht sich im Schatten der ausführlichen, brillanten Einleitung, die der Dichter Randall Jarrell für die Neuauflage von 1965 geschrieben hat. Erstens könnte niemand das Buch umfassender und präziser würdigen, als Jarrell es bereits getan hat; und zweitens: Wenn es einem so kraftvollen Appell wie dem seinen nicht gelungen ist, die Welt für diesen Roman zu begeistern, und das in einer Zeit, als Literatur in unserem Land noch einigermaßen ernst genommen wurde, dann spricht wenig dafür, dass es heute gelingen könnte. Allerdings wäre Jarrells Einleitung selbst ein sehr guter Grund, den Roman zu lesen, zumal man auf diese Weise daran erinnert würde, wie hervorragende Literaturkritik einmal ausgesehen hat: leidenschaftlich, persönlich, unparteiisch, fundiert und an gewöhnliche Leser gerichtet. Jeder, dem die Literatur noch etwas bedeutet, könnte dabei wehmütig werden.
Jarrell, der im Zusammenhang mit Stead wiederholt auf Tolstoi verwiesen hat, tat zweifellos alles, was in seiner Kraft stand, um ihr einen Platz im westlichen Kanon zu verschaffen, und ist damit zweifellos gescheitert. Eine 1980 veröffentlichte Studie der hundert meistzitierten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, die sich auf wissenschaftliche Erwähnungen in den späten siebziger Jahren gründet, führt Margaret Atwood, Gertrude Stein und Anaïs Nin auf, nicht aber Christina Stead. Das wäre weniger erstaunlich, würden Stead und ihr bester Roman nach akademischer Kritik jeder Couleur nicht förmlich schreien . Besonders verwunderlich scheint, dass Der Mann, der seine Kinder liebte nicht zu einem Grundlagentext in jedem Frauenforschungsstudiengang des Landes geworden ist.
Auf der einfachsten Ebene erzählt der Roman die Geschichte eines Patriarchen, Sam Pollit – Samuel Clemens Pollit –, der sich seine Frau Henny unterwirft, indem er sie sechsmal schwängert, und der seine Nachkommenschaft mit endlosen Fluten von erfundenen Wörtern, spinnerten Haushaltsprojekten und Ritualen verführt und betört, allesamt dazu gedacht, ihn die Sonne sein zu lassen (er ist strahlend weiß und hat hellblondes Haar), um die sich die Pollit-Welt dreht. Tagsüber ist Sam ein ehrgeiziger, idealistischer Beamter in Roosevelts Washington. Abends und an den Wochenenden ist er der hyperkinetische Herr des heruntergekommenen Einfamilienhauses in Georgetown; er ist «Mr. Großmaul Allmächtig» (Hennys Ausdruck), «Mr. Überall-und-Nirgends» (ebenfalls Henny); er ist «Sam der Kühne» (so nennt er sich selbst), der sich durch alle Poren seiner Kinder in ihr Innerstes hineindrängt. Er lässt sie nackt herumlaufen, spuckt ihnen zerkautes Brot in den Mund (um ihr Immunsystem zu stärken), bleibt ungerührt, als er erfährt, dass sein Jüngster seine eigenen Exkremente verzehrt (das sei nur «natürlich»). Seiner Schwester, einer Lehrerin, erklärt er: «Selbst die Schulpflicht ist nicht einzusehen, solange ihnen ein Vater wie ich zur Seite steht.» Zu den Kindern selbst sagt er Dinge wie «Du bist ich» oder: «Wenn ich der Sonne sage, ‹Du kannst scheinen›, dann scheint sie auch, oder etwa nicht?»
In einem aberwitzigen Ausmaß macht Sam seine Kinder zu Accessoires und Instrumenten seines Narzissmus. Es gibt in der gesamten Literatur keinen lächerlicheren Narzissten als ihn, und in guter narzisstischer Manier bleibt Sam, der sich selbst als Propheten von «Weltfrieden, Weltliebe, Weltverständnis» betrachtet, glücklich blind für das Elend und die Ärmlichkeit seiner Lebensverhältnisse. Er ist ein perfektes Beispiel für den westlich-rationalen Butzemann, den eine bestimmte Art der Literaturkritik auf dem Kieker hat. Dank des schönen, eher zufälligen Umstands, dass Stead gezwungen war, den Roman in Amerika spielen zu lassen, konnte sie Sams Imperialismus und seinen unschuldigen Glauben an die eigenen guten Absichten direkt auf die der Stadt abpausen, in der er arbeitet. Er ist buchstäblich der «große weiße Vater», ist buchstäblich Onkel Sam. Er stellt jene Art von Menschenfeind dar, der die Weiblichkeit als Abstraktion zwar liebt, sich von einer Frau aus Fleisch und Blut aber «hinuntergezogen» fühlt, «hinabgezerrt auf den Boden», und der findet, Frauen seien zu verrückt, um wählen gehen zu dürfen. Und doch ist er, obschon monströs, kein Monster. Steads
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