Weiter weg
Kunst besteht darin, dass sie Seite um Seite die kindliche Bedürftigkeit und Schwäche im Kern seiner übermächtigen Männlichkeit spürbar macht und den Leser dazu bewegt, Mitleid mit ihm zu empfinden, ihn zu mögen und, folglich, auch komisch zu finden. Die Sprache, die er zu Hause spricht – ähnlich wie Babysprache, nur seltsamer –, ist ein endloser erfindungsreicher Schwall von Alliterationen, Nonsens-Reimen, Wortspielen, Running Gags, aufeinanderprallenden Stilebenen und privaten Anspielungen, dem man mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten nicht gerecht werden kann. Wie sein bester Freund bewundernd zu ihm sagt: «Sam, wenn du sprichst, erschaffst du eine neue Welt.» Seine Kinder sind von seinen Worten verzaubert und zugleich auf eine vernünftigere Art als er erwachsen. Wenn er ekstatisch eine zukünftige Form des Reisens beschreibt – er nennt sie Projektion durch Dematerialisierung –, bei der die Passagiere «in Röhren geschossen und dann zerlegt» werden, bemerkt sein ältester Sohn trocken: «Aber dann würde niemand mehr reisen.»
Die nicht beweglichen Objekte, die Sams unwiderstehlicher Kraft entgegenwirken, sind Henny und ihre Stieftochter Louisa, das Kind seiner verstorbenen ersten Frau. Henny ist die verwöhnte, amoralische und jetzt opernhaft leidende Tochter einer wohlhabenden Familie aus Baltimore. Der Hass zwischen den Eheleuten wird noch dadurch geschürt, dass beide wild entschlossen sind, den anderen nicht gehen und die Kinder mitnehmen zu lassen. Ihr totaler Krieg, von wachsenden Geldnöten weiter verschlimmert, ist der narrative Motor des Romans, und auch hier bewahrt gerade die extreme Ausprägung ihres Hasses diesen vor der Monstrosität – verleiht ihm vielmehr Komik. Die nervenschwache, ausgelaugte, doppelzüngige Henny, zu «schwarzen Blicken» und noch schwärzeren Stimmungen neigend, ist die «hässliche alte Schachtel» (ihr Ausdruck), die ihren Kindern wirklichkeitsgesättigtes Gift in die eifrig gespitzten Ohren gießt. Ihre Sprache ist von neurotischem Schmerz und Trübsinn genauso voll wie Sams, die von unrealistischer Liebe und Zuversicht strotzt. Der Erzähler stellt fest: «Ein Spaten war für ihn ein Vorläufer der modernen Landwirtschaft, während sie von einer Dreckschaufel sprach: Sie besaßen keinen gemeinsamen Wortschatz, mit dessen Hilfe sie sich hätten verständigen können.» Und Henny sagt zu Sam: «Wie verträgt sich deine Wahrheitsliebe eigentlich damit, andere Leute mundtot zu machen?» Und: «Er schwafelt ständig von der Gleichheit der Menschen und ihren natürlichen Rechten, von morgens bis abends bekomme ich nichts anderes zu hören. Und wie steht es mit den Rechten der Frauen, würde ich ihm am liebsten entgegenschreien.» Aber sie schreit es ihm nicht direkt entgegen, denn die beiden sprechen seit Jahren nicht mehr miteinander. Stattdessen hinterlässt sie knappe Nachrichten an «Samuel Pollit», und sie wie er benutzen die Kinder als Boten.
Während der Krieg zwischen Sam und Henny im Vordergrund des Romans steht, bildet das sich verschlechternde Verhältnis von Sam zu seiner ältesten Tochter Louie den immer weniger geheimen Spannungsbogen. Viele gute Romanciers schreiben ein komplettes gutes Œuvre , ohne uns eine einzige unauslöschliche, archetypische Figur zu hinterlassen. Christina Stead schenkt uns mit einem einzigen Buch gleich drei, von denen Louisa, genannt Louie, die liebenswerteste und rätselhafteste ist. Sie ist ein großes, dickes, trampeliges Mädchen, das sich selbst für ein Genie hält; «Ich bin das hässliche Entlein, du wirst schon sehn», schreit sie ihren Vater an, als der sie quält. Wie Randall Jarrell bemerkt, sind zwar viele, wenn nicht gar alle Schriftsteller als Kinder hässliche Entlein gewesen, aber nur wenige bis gar keine haben diese leidvolle Erfahrung so ehrlich und umfassend behandelt wie Stead. Louie ist infolge ihrer Tollpatschigkeit andauernd mit Kratzern und blauen Flecken übersät, ihre Kleidung infolge ihrer Unfälle andauernd fleckig und zerrissen. Nur die zweifelhaftesten Nachbarn freunden sich mit ihr an (für eine von ihnen, die alte Mrs. Kydd etwa, ist sie in einer der hundert spektakulären kleinen Szenen des Romans bereit, eine unerwünschte Katze in der Badewanne zu ertränken). Louie wird wegen ihrer Schlampigkeit von beiden Elternteilen permanent gescholten: Dass sie nicht hübsch aussieht, ist ein furchtbarer Schlag für Sams Narzissmus, während ihre weltferne Selbsteinschätzung
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