Wellentraum
schmallippiger Geschicklichkeit an den Leinen zu schaffen. Sein schlanker Körper glänzte vor Schweiß und leuchtete im Sonnenlicht. Margred nahm kaum Notiz von ihm. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem anderen Boot. Dem anderen Boot und Caleb.
Sie verzehrte sich danach, ihn zu sehen, Verbindung mit ihm aufzunehmen und sich zu vergewissern, dass er am Leben war.
Und dann spürte sie es, beißend wie Asche, die im Wind verwehte, unheilverkündend wie einen dunklen Fleck im Wasser.
Dämon.
Ihr Herz setzte aus. Sie rang die Hände im Schoß.
Dylan spürte es auch. Mit weißem Gesicht sah er sie an. »Setz sie unter Wasser.«
Die Flut beschwören, die sie begraben würde?
Margred schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Nicht, ohne das Boot zum Kentern zu bringen und deinen Bruder zu ertränken.«
»Tu es«, befahl Dylan. »Oder ich werde es tun.«
Sie knurrte. Sie konnte Kampfgeräusche hören, Keuchen, Poltern, Schmerzenslaute.
»Süße, ich werde mit einem Anwalt mittleren Alters schon fertig.«
Aber Whittaker kämpfte mit der Kraft eines Besessenen. Er konnte Caleb verletzen. Verwunden, bis er blutete.
Margred streckte ihre bebenden Hände Richtung Steg aus. »Ich muss ihn binden. Den Dämon.«
»Aber wie?«, fragte Dylan.
Sie hörte gar nicht hin.
Verzweiflung pulsierte durch ihren Körper. Ihr war schwindelig vor Angst. Sie schob ihre Sorge beiseite, durchbrach die aufgewühlte Oberfläche ihrer Gedanken und tauchte tief nach der klaren Kraftquelle, die in ihrer Seele entsprang. Magie antwortete und durchdrang sie wie Musik, wie Wasser, fließend, sprühend, unaufhaltsam. Ihr Element. Ihr ureigen. Mit einem Freudenschrei öffnete sie den Mund, um es zu trinken, öffnete weit die Arme, um es willkommen zu heißen.
Das Boot stieß an den Steg und schreckte sie aus ihrer Konzentration auf.
Dylan fluchte.
Margred öffnete die Augen.
Caleb, einen Arm zum Schutz gegen die Schläge des Dämons erhoben, war an die Reling zurückgedrängt worden. Angeschossen. Er war angeschossen. Seine Schulter war schwarz vor Blut, seine Lippe aufgerissen und blutete. Whittaker lauerte über ihm mit bösem, starrem Grinsen und bearbeitete ihn mit den Fäusten, drosch und prügelte auf ihn ein. Hart. Wieder und wieder.
Jeder dumpfe Aufprall traf ihre Seele. Die Magie zerstob und verflüchtigte sich und ließ sie leer, menschlich, hilflos zurück. Sie hätte sich am liebsten übergeben.
Die Präsenz des Dämons erreichte sie über das Wasser wie der glühende Hauch eines Hochofens. Ihr Mut verdorrte. Ihre Entschlossenheit schwand. Caleb wehrte die Fäuste des Dämons mit seinem verletzten Arm ab. Die gute Hand hatte er um die Kehle des Dämons gelegt. Doch Blut tropfte von seiner Schulter ins Wasser, und sein Arm zitterte. Er konnte die Hölle nicht für immer und ewig in Schach halten. Er konnte sterben. Er tat es bereits.
»Hilf ihm«, schrie Margred Dylan an.
Dylan sprang vom Boot.
Sie starrte auf Calebs Finger, die den Hals des Dämons umklammert hielten und ihm die Blutgefäße abdrückten. Er kämpfte – noch immer –, während der Dämon ihn mit den Fäusten bedrängte, während das Leben aus ihm herausfloss. Sie fühlte sich noch immer nicht tapferer. Aber sie konnte ihn nicht allein kämpfen lassen. Aufschluchzend raffte sie ihren gesamten jämmerlichen Vorrat an menschlichem Mut und die letzten Reste ihrer Selkie-Magie zusammen.
Die Schläge des Dämons kamen langsamer. Er zerrte an Calebs Fingern, wollte sie von seiner Kehle lösen. Whittakers Augen weiteten sich und traten aus den Höhlen. Sein Körper zuckte. Erschauerte.
Feuer schoss in Rauchschwaden und einem orangeroten Geysir vom Boot zum Himmel empor. Es spiegelte sich flackernd in Whittakers Augen wider, als wäre das Feuer in seinem Kopf, als würde er innerlich verbrennen.
Margred breitete die Arme weit aus und warf ihren Geist wie ein Netz den Flammen entgegen. Energie blitzte an ihren Fingerspitzen auf. Einen Moment lang hing Zauberei in der Luft und funkelte wie Wassertropfen.
Plötzlich war Dylan auf dem Boot. Er hob die Mündung der Pistole und richtete sie auf Whittakers Hinterkopf.
Und auf einmal war es vorbei.
Der Schuss verhallte. Die Präsenz des Dämons verlosch, verging. Eine Brise zog von See heran, süß und salzig, und vertrieb den magischen Nebel. Margred holte schluchzend Luft und kletterte über die Reling. Sie hatte nur eines im Sinn.
Caleb.
Er taumelte stöhnend auf die Füße. Whittakers Körper sackte zu seinen
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