Wellentraum
ich wiederkomme.«
Er griff nach dem offenen Notfallkoffer auf dem Deck hinter ihm. Fugenspritze, Schraubenzieher, Taschenlampe, Streichhölzer …
Leuchtfackeln.
Seine Hand schloss sich um einen länglichen, goldenen Zylinder.
Von wegen Aura,
dachte er mit grimmiger Befriedigung.
Das rote Leuchtsignal schoss in hohem Bogen rauchend zum Himmel empor.
Angespannt beobachtete Caleb gegen die Sonne, wie das Boot näher kam, und alles, was er denken konnte, war:
Bitte
– ein Gebet zu Gott, für das er seit Mrs. Pruitts längst vergangener Sonntagsschule keine Zeit mehr gefunden hatte.
Bitte, Gott, mach, dass er mich sieht.
Bitte lass mich rechtzeitig zurückkommen, um sie zu retten.
Das Boot wurde langsamer und scherte aus, um den Steg anzusteuern.
Caleb stieß einen Seufzer der Erleichterung und Dankbarkeit aus.
Danke, danke, danke …
Er erstarrte.
Gott hatte seine Gebete keineswegs erhört.
Denn der Mann, der das Boot mit ruckartigen Bewegungen und breitem, wie festbetoniertem Lächeln lenkte, war niemand anders als Bruce Whittaker.
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21
M argred starrte auf das Wasser, das links und rechts des Bugs vorbeiströmte. Ihr Magen schlug Kapriolen, und ihre Gefühle waren in Aufruhr.
Dylans Hand lag auf ihrer Schulter. Sie schüttelte sie ab.
»Entschuldigung«, sagte er steif. »Ich wollte dich trösten.«
Sie hatte ihm noch nicht verziehen, dass er seinen Bruder verspottet hatte. Oder vielleicht hatte sie sich selbst noch nicht verziehen.
»Ich will deinen Trost nicht«, erwiderte sie kalt. »Ich will nur, dass du mich nach World’s End bringst.«
»Ich sollte dich nach Caer Subai bringen«, murmelte Dylan.
»Versuch es, und ich bin über Bord, bevor du auch nur das Segel ausrichten kannst«, warnte sie ihn.
Er presste den Mund zusammen. »Du wärest dort in Sicherheit.«
»Ich würde in der Falle sitzen. Ich habe kein Fell. Ich könnte niemals ins Meer zurückkehren.«
»Ein Grund mehr, über Sanctuary nachzudenken. Ohne dein Fell wirst du altern und sterben. Am Hof des Prinzen würdest du wenigstens nicht alt werden.«
Margred sah zum Horizont. Tag um Tag, einer wie der andere, alle ineinander verschwimmend.
Niemals alt werden, niemals sterben. Niemals Caleb wiedersehen?
Die Aussicht auf eine Ewigkeit ohne ihn lag vor ihr wie die kühlen, feuchten Stollen und Korridore von Caer Subai. Hohl widerhallend. Leer.
Wie ihr Leben, bevor sie ihn traf.
Sie erschauerte. »Ich würde lieber sterben, als ohne Freude oder Ziel zu leben.«
Oder Liebe.
»Du könntest Kinder haben«, sagte Dylan.
Ah.
Margred schloss die Augen, bis ins Mark getroffen von der Vision eines Sohnes mit Calebs meergrünen Augen, einer Tochter mit seinem sonnenhellen Lächeln.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich keinerlei Interesse daran habe, am Zuchtprogramm des Prinzen teilzunehmen.«
Dylan beobachtete sie aufmerksam, mit undurchsichtiger Miene. »Es gibt andere Paarungsgefährten, die in Frage kommen.«
»Aber keinen, der mich reizt.« Ihr Blick wanderte die Schaumspur entlang, die zur Insel und zu Caleb zurückführte. Sein Bild zog sie so magisch an wie der Mond die Gezeiten. »Außer deinem Bruder.«
»Er ist nicht mein Bruder. Er darf dir nichts bedeuten. Du kannst nicht zurückschauen.«
Steuerbord brummte in einiger Entfernung ein rotes Motorboot wie eine Hornisse über das Wasser.
»Hat deine Mutter jemals bereut, deinen Vater verlassen zu haben?«, fragte Margred. »Hat dir nie dein Zuhause und deine Familie gefehlt?«
»Wir sind Selkies«, verkündete Dylan. »Wir bereuen nichts.«
»Wir treiben dahin, wie die See dahintreibt.«
So war es siebenhundert Jahre auch für sie gewesen. Aber warum fühlte sie sich jetzt dann von der Strömung mitgerissen und in die völlig falsche Richtung getragen?
Ihre Gedanken kehrten zu Caleb zurück, wie er starr auf dem Steg gestanden hatte, mit geballten Fäusten und trübem Blick. Sie spürte ihn wie ein Gewicht auf ihrem Herzen, wie den Einfluss des Mondes auf die Gezeiten, und ihr Herz floss über vor Reue.
»Vielleicht bin ich ja keine Selkie mehr«, entgegnete sie leise.
Dylan funkelte sie finster an. »Wenn das so ist, hatte mein Bruder mehr Erfolg, wo der Dämon gescheitert ist. Er hat dich zerstört.«
Margred sah ihn überrascht an. Sie verstand ihn. Früher hätte sie ihm sogar beigepflichtet. Selkies gehörten zur Ersten Schöpfung Gottes und waren den Menschen, die sich abrackerten und beteten und starben, in jeder
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