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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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amputiert hatte. Der Gerichtsmediziner hatte sie mit einem lockeren Verband versehen, um die Blutung zu stillen. Leichen bluten kaum, weil das Herz nicht mehr schlägt und der Druck im Kreislauf abfällt, aber trotzdem kann noch Blut heraussickern, und verbunden war die Leiche in diesem Fall besser zu transportieren gewesen.
    Mom und ich hoben den Toten an, damit Margaret den Leichensack wegziehen konnte. Wir hatten es schon so oft gemacht, dass wir nicht zu reden brauchten. Jeder wusste genau, was er zu tun hatte: Mom deckte den Unterleib mit einem sterilen Tuch ab, Margaret öffnete die Naht im Bauch, um den Beutel mit den Organen herauszunehmen, und ich entfernte die Bandagen von den Handgelenken.
    Die abgetrennten Gliedmaßen waren makellose Querschnitte durch Fleisch, Knochen und Sehnen. Ich fuhr mit der Fingerspitze darüber und fragte mich, wie solche sauberen Schnitte zustande gekommen waren. Meine erste Vermutung war ein Biss, denn Mr Crowley war fähig gewesen, den Kiefer wachsen zu lassen und Dutzende langer, scharfer Zähne zu entwickeln. Gut möglich, dass unser neuer Dämon dazu ebenfalls imstande war. Andererseits entdeckte ich an den Stümpfen keinerlei Bissspuren – keine horizontalen Linien, wo sich die beiden Zahnreihen in der Mitte getroffen hätten. Die Schnittflächen waren einfach zu sauber. Wie sonst ließ sich eine so exakte Trennung vornehmen?
    Mr Crowley war außerdem fähig gewesen, die Hände in gefährliche Krallen zu verwandeln, mit denen er praktisch alles zu durchschneiden vermochte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass eine solche Kralle die Amputationen durchgeführt hatte. Ein einziges Mal zuschlagen und Fleisch, Knochen und Sehnen auf einen Schlag durchtrennen. Ja, das war möglich. Außerdem bewies es, dass der Killer stark sein musste, um eine Klaue so machtvoll zu schwingen und so zielgenau zu schneiden. Ich prägte mir die Einzelheiten ein und half Mom, den Toten zu waschen.
    Margaret trat mit dem Organbeutel an einen Seitentisch, wo sie alle Einzelteile getrennt säubern und mit Formaldehyd füllen würde. Damit war Margaret ein paar Stunden beschäftigt, und unterdessen würde ich mit Mom die Leiche reinigen, für die Aufbahrung herrichten und Konservierungsmittel durch den Kreislauf pumpen. Bei einer Leiche in diesem Zustand gestaltete sich das schwierig, denn die Blutgefäße waren an so vielen Stellen durchlöchert, dass die Pumpe nicht viel nutzte. Statt durch den ganzen Körper zu strömen, würde die Einbalsamierungsflüssigkeit in die Brusthöhle tropfen und durch die Wunden wieder austreten. Glücklicherweise (oder auch nicht, wenn es nach meiner Mom ging) hatten wir im letzten Jahr viele verstümmelte Körper behandeln müssen und waren auf eine recht einfache Lösung verfallen: Vaseline. Wir brauchten einen ganzen Topf davon, und wenn wir sie auf den Wunden verteilten und mit Klebeband fixierten, ließen sich die meisten Löcher abdichten. Als wir die Gliedmaßen, den Kopf und den Brustkorb gewaschen hatten, holte Mom einen Topf Vaseline, und wir machten uns ans Versiegeln der Wunden.
    Es waren viele Wunden.
    Zuerst einmal natürlich die in Stümpfen auslaufenden Handgelenke, die ich mit einer dicken Schicht des Salbengemischs bestrich. Danach arbeitete ich an der Schussverletzung, die den Mann vermutlich getötet hatte: ein großes Austrittsloch unmittelbar über dem Herzen und auf dem Rücken das dazu passende kleinere Eintrittsloch. Ich geizte nicht mit der Paste und packte sie fest auf das vordere Loch. Als ich damit fertig war, öffnete ich den Mund des Toten und schmierte auch die Zunge ordentlich ein – oder vielmehr den kleinen Stummel, der noch vorhanden war. Die Schnitte an den Handgelenken waren sauber, aber die Amputation der Zunge war geradezu makellos – sie war mit größter chirurgischer Präzision, mit erstaunlicher Sorgfalt und einem Sinn fürs Detail durchgeführt worden. Vielleicht eine andere, kleinere Klaue? Oder ein ganz anderes Werkzeug wie etwa ein Skalpell? Was immer der Täter benutzt hatte, es war so scharf wie ein Rasiermesser gewesen und hatte eine lange Klinge sowie eine scharfe Spitze für die Feinarbeit gehabt.
    Diese Präzision machte mich nachdenklich. Wir wussten bereits, dass die Dämonin äußerst vorsichtig war und Plastikplanen, Umhänge und wer weiß was sonst noch mitbrachte, um sich nicht mit Blut zu beschmutzen. Das ließ auf einen äußerst gewissenhaften Killer schließen, und die chirurgische Entfernung der Zunge

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