Nach all diesen Jahren
PROLOG
So vorsichtig wie möglich drehte sich Raoul um und stützte sich auf den Ellbogen. Intensiv musterte er die Frau, die friedlich neben ihm schlief. Im Zimmer herrschte drückende Schwüle. Das Fenster stand offen, und auf der Kommode surrte ein Ventilator, aber das half trotzdem nicht gegen die feuchte Hitze der afrikanischen Nacht. Das Moskitonetz bot nur ungenügend Schutz vor den kleinen Blutsaugern. Einer dieser Plagegeister landete auf seinem Arm. Raoul zerquetschte ihn und setzte sich auf.
Sarah öffnete schlaftrunken die Augen. Sie lächelte ihn an. Wie unglaublich schön er ist! Nie hätte sie gedacht, dass dieses Wort auf einen Mann zutreffen könnte – aber bei Raoul Sinclair fiel ihr einfach kein anderes ein. Ein Blick hatte genügt, und es hatte ihr buchstäblich die Sprache verschlagen. Das war vor drei Monaten gewesen – und noch immer war sie seinem Zauber erlegen.
Er überragte alle anderen, die hier ein freiwilliges soziales Jahr absolvierten, mindestens um einen Kopf. Das erklärte jedoch noch nicht seine Faszination. Es war seine exotische Schönheit: die samtene, bronzene Haut, das rabenschwarze Haar, das ihm bis zur Schulter reichte und sein durchtrainierter, muskulöser Körper. Raoul strahlte eine gewisse, nicht genau zu definierende Macht und Präsenz aus. Obwohl nur ein paar Jahre älter als die anderen, lagen doch Welten zwischen ihnen – er war ein „Mann“.
Sarah ließ die Hand zärtlich über seinen Rücken gleiten.
„Dieses Netz ist absolut nutzlos“, meinte er lakonisch. „Die Moskitos fressen einen bei lebendigem Leib. Aber … wenn wir schon mal wach sind …“ Beim Anblick von Sarahs honigfarbener Haut und ihren vollen, weichen Brüsten regte sich sein Begehren erneut. Dabei hatten sie erst vor ein paar Stunden miteinander geschlafen.
Mit einem glücklichen Seufzen legte sie die Arme um seinen Nacken und zog ihn an sich.
Raoul hatte sie erweckt! Sie war noch Jungfrau gewesen, und als sie sich ihm hingegeben hatte, hatte jede seiner Berührungen neue, unbekannte und tiefe Empfindungen in ihr hervorgerufen. Ihr Körper erblühte förmlich unter seinen Händen.
Raoul schlug das dünne Laken zurück und genoss den Anblick ihres wundervollen weiblichen Körpers. Das sind die schönsten Brüste auf der ganzen Welt, dachte er. Leises Bedauern schlich sich in sein Herz. Diesen Busen werde ich vermissen. Obwohl – so stimmt das nicht ganz, gestand er sich ein. Ich werde sie vermissen!
Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte geplant, drei Monate in Mosambik zu arbeiten, bevor er sich für den Rest seines Lebens ins Arbeitsleben stürzte. Die Universität lag hinter ihm, und er hatte zwei hart erarbeitete Diplome in der Tasche: eins in Wirtschaftswissenschaften und eins in Mathematik. Bevor er die Welt eroberte, wollte er noch etwas Uneigennütziges tun und anderen helfen. Menschen, die – ebenso wie er – einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatten, wenn auch unter ganz anderen Lebensunterständen.
Mit einer Frau Hals über Kopf ins Bett zu gehen, gehörte nicht zu diesem Plan.
Und von Sarah Scott hätte er niemals gedacht, dass sie seine eiserne Kontrolle erschüttern könnte. Mit dem ungebändigten blonden Haar und ihrer unschuldigen Ausstrahlung passte sie nicht in sein Beuteschema. Er bevorzugte erfahrene Frauen. Frauen, die einer kurzen und leidenschaftlichen Affäre nicht abgeneigt waren. Man begegnete sich, hatte Spaß miteinander, und dann trennte man sich ohne Bedauern. Frauen, die nichts von ihm erwarteten.
Ein Blick auf Sarah hatte jedoch genügt, um festzustellen, dass sie absolut nicht zu diesem Typ Frau gehörte. Allerdings hielt Raoul das nicht ab. Zwei Wochen lang hatte er sie unauffällig beobachtet und bemerkt, dass auch ihr Interesse geweckt war. Angesichts der besonderen Umstände, die sie zusammengeführt hatten – sie waren immerhin in einem exotischen Land –, dauerte es nur noch eine weitere Woche, bis er der Versuchung erlag.
Es zählte nur noch das Hier und Jetzt. Sie begehrten einander und lebten ihre Leidenschaft aus. Behutsam, zärtlich – und leise. Die Wände der Hütte, die sie sich zu sechst teilten, waren dünn wie Papier, und die Holzdielen reagierten auf jede Bewegung mit lautem Knarren.
„Sag mir, wie weit ich gehen kann, bevor du ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken kannst!“, bat Raoul.
„Sag so was nicht“, prustete Sarah los. „Du weißt genau, wie schwierig …“
„Genau das liebe ich an dir.
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