Welt Der Elben (1-3)
gutes Herz.
Als hätte er geahnt, was sie dachte, zupfte er plötzlich an ihrem Ärmel.
»Tessya?«
»Hmm?« Sie wollte nicht reden. Noch nicht. Sie musste erst einmal ihre eigenen Gedanken sortieren. Offensichtlich hatten sie einen Menschen gefangen genommen. Und das bedeutete allerhöchste Gefahr. Sie hatten nicht grundlos vor über 1.000 Jahren die Kontakte zu den Menschen abgebrochen.
»Jetzt weißt du übrigens, was Lynn heute Morgen gemeint hat«, flüsterte er.
»Hmm. Ja.«
»Wie nur hat sie den Eingang entdeckt?«, wisperte er ihr ins Ohr. »Menschen achten nicht auf Bäume. Sie reißen an den Zweigen oder ritzen Buchstaben in die Rinde.«
»So wie wir es machen«, zischte sie. »Mit den Fingern von oben nach unten.«
»Unmöglich! Kein Mensch würde so etwas tun.«
»Welche Alternativen gibt es denn deiner Meinung nach?« Tessya wurde ungeduldig und drehte sich weg. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Wie konnte es möglich sein, dass ein Mensch ihre Tore überwand? Sie waren doch sicher. Wenn sie es plötzlich nicht mehr waren, wäre das eine Katastrophe. Es würde ihrer aller Leben bedrohen. Ihre Sicherheit. Sie könnte nie wieder nachts ruhig schlafen oder alleine durch den Wald gehen, ohne Schutz…
»Hätte jemand von uns den Wald verlassen und wäre zu den Menschen gegangen, dann hätte er das Tor hinter sich verschlossen. Niemand wäre so leichtsinnig …«
»…ich weiß, und wäre das Tor durch ein Versehen geöffnet geblieben, dann hätte der Torbaum eine Warnung durch den Wald geschickt«, fiel sie ihm ins Wort. »Die Wächter hätten es bemerkt.«
Zalym griff nach ihrer Hand. »Ich habe gespürt, als das Tor aufgesprungen ist. Das war kurz bevor wir das Mädchen entdeckt haben.«
Tessya zuckte mit der Schulter, um gleichgültig zu wirken. In Wirklichkeit war ihr schlecht vor Angst. »Dann muss sie es getan haben«, sagte sie und konzentrierte sich darauf, das Zittern beim Sprechen zu unterdrücken.
»Aber das ist doch unmöglich!«, flüsterte Zalym. Sie wusste nur zu gut, warum er leise sprach: So konnte er die Unruhe in seiner Stimme am besten verbergen.
09 Tief im Wald
D er Wald wurde immer dichter. Heather hatte zwischen den mächtigen Bäumen längst die Orientierung verloren. Sie überlegte, woran die Rothaarige sie erinnerte. Die rote Zora? Die Rotgeflammte? Es gab unendlich viel Literatur über rothaarige Hexen und dämonische Frauen. Aber sie erinnerte sich an keine rothaarige Amazonenkriegerin. Tessya ist ihr Name. So hat der Blonde sie angesprochen. Passt gar nicht zu ihr. Klingt viel zu nett.
Die Kriegerin legte plötzlich eine Hand auf ihren Arm. »Wir sind gleich da!«
Überrascht sah Heather sich um. Hier gab es nichts, was auf Menschen schließen ließ. Keine Wohnwagen, Hütten, Zelte oder Häuser. Einfach nichts. Doch waren die Bäume hier plötzlich doppelt so dick. So große Eichen hatte sie noch nie gesehen. Die Kronen schienen beinahe unendlich in den Himmel zu wachsen.
Mammuteichen? Gibt es doch gar nicht.
Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich weitere Waldmenschen auf. Sie tuschelten und kamen näher. Wortfetzen drangen an ihr Ohr: »… Menschen …?« »Ist das nicht die …?« » … was will sie hier …?« »Hast du es auch vernommen?« »… gewispert … die Bäume … heute morgen!«
Sie blickten ernst, wirkten jedoch nicht wütend oder aggressiv. Wenigstens das, dachte Heather.
Ohne ersichtlichen Grund blieben sie vor einer dicken Kastanie stehen. Sie war so gigantisch groß, dass vermutlich zehn Mann sich die Hände reichen mussten, um sie zu umfassen.
Der Baum vor ihnen begann zu knacken. Das Holz knarzte und bekam einen Riss, der Schlitz verbreiterte sich, dann zeigte sich ein mannhoher Eingang.
Das war doch gar nicht möglich. Eine Tür mitten in einem Baum?! Heather schnappte nach Luft.
Moryn ging vor. Aus der Nähe fiel ihr seine ungewöhnliche Haarfarbe auf. Blauschwarz wie Tinte. Die Flammendrote stellte sich neben den Eingang und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie solle vorgehen.
»Tretet ein und vergesst nicht, die Steine zu grüßen, bevor ihr weitergeht!«, rief eine Frauenstimme von drinnen.
Heather beobachtete, wie der Vampirtyp inne hielt, den Kopf nach links drehte, nickte und dann zügig durch die halbdunkle Halle schritt. Die Wände waren bauchig und erinnerten an den hölzernen Rumpf eines dicken Schiffes. Das Ungewöhnlichste aber war der gigantische Raum, der sich vor ihr erstreckte. Er hatte
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