Weltenende (German Edition)
Ludwig auf den Reiter zustürmte in der Hoffnung ihn von Carl und Jonas abzulenken. Das Pferd setzte sich in Bewegung, galoppierte donnernd wie ein ratternder Zug auf ihn zu. Dort wo die Pferdehufe auf die Erde trafen, spritzte kein Sand oder Gras auf, sondern dunkles Blut.
„Nein, nicht!“, schrie Jonas , wollte hinterher, aber es war längst zu spät.
Mit einem einzigen ausgeführten Streich seines Schwertes trennte der Reiter Ludwigs Kopf vom Rumpf. Gerade lang genug blieb der Kopf auf den Schultern ruhen, dass in Jonas ein kleiner Hoffnungsschimmer aufkeimte, der Reiter könne sein Ziel vielleicht verfehlt haben, aber das hatte er nicht. Zu bleichen Salzsäulen erstarrt sahen Jonas und Carl wie Ludwigs Kopf vom Hals rutschte und dumpf auf den Boden fiel. Langsam, einen letzten Blick auf Jonas und Carl erhaschend, rollte der Schädel den Hügel hinab zum Strand. Der noch immer stehende Rumpf erschlaffte und sackte ihn sich zusammen.
Mit den Vorderläufen stieg das Pferd triumphierend in die Höhe. Der Reiter blickte sie an, blickte genau Jonas in die Augen und sein bohrender Blick, schaute direkt in seine Seele. Ein Lachen ertönte fern, abermals wie tausende Kehlen, die ihn verspotteten wie einen Narren. Vielleicht war er auch ein Narr; vielleicht konnte er das alles gar nicht mehr aufhalten.
„Wir müssen weg!“, schrie Carl.
„Nein, müssen wir nicht“, entgegnete Jonas leise und sie blieben stehen; sie hätten ohnehin nicht schnell genug fliehen können. Einige Sekunden verstrichen, dann riss der Reiter das Pferd herum und ritt davon.
Carl sank auf die Knie.
Jonas blickte dem Reiter hinterher, nur um nicht auf Ludwig schauen zu müssen.
„Komm , Carl, komm! Wir müssen weitermachen!“ Jonas drehte sich um und packte seinen Cousin am T-Shirt, zog ihn grob auf die Füße.
„Er hat ihn umgebracht“, stotterte Carl.
Jonas griff nach dem Brecheisen. Er rammte die kurze gebogene Seite in den seitlichen Schlitz zwischen Metall und Beton. „Los komm schon!“, schrie er.
Zu zweit stemmten sie sich dagegen. Das Metall gab an einer Ecke nach, das Brecheisen rutschte ab, aber mehr als eine verbogene Kante war es nicht.
„Das geht so nicht“, keuchte Carl.
Zornig schlug Jonas mit dem Brecheisen auf die Tür ein, zweimal, dreimal, viermal, dann warf er es ins Gras. Er wusste nicht, was er tun sollte.
„Wir fahren mit dem Traktor zum Gang zurück und kommen von unten. Was anderes bleibt uns doch nicht“, meinte Carl.
Jonas reagierte nicht gleich. Er dachte an etwas anderes. „Habt ihr den anderen Eingang gefunden? Den, den die Ombrage benutzt?“, fragte er.
„Ja, hundert Meter “, er zeigte nach Süden den Strand entlang, „ebenfalls als Wasserreservoir gekennzeichnet. Erinnerst du dich? Wir haben uns schon mal gewundert, weil die Pumpenstation im Ort ist. Aber du kannst dort nicht ... da waren überall Männer der Ombrage. Wir sind ihnen beinahe in die Hände gelaufen.“
Jonas winkte ab. „Ich habe eine Vermutung. Komm mit!“
„Eine Vermutung, wunderbar , damit kommen wir rein.“
Jonas rannte los.
„Jonas, das ist Selbstmord“, schrie Carl.
„ Wir setzten alles auf eine Karte“, rief Jonas ohne langsamer zu machen.
Carl folgte ihm nur widerwillig, holte wieder auf, bis er neben Jonas lief. „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“
„Wir müssen ohnehin in den Raum mit dem Buch. Es spielt doch eigentlich keine Rolle von welcher Seite wir kommen.“
„Das sehe ich anders. Von vorne kommen wir nicht einmal bis zur Tür.“
„Wir wissen doch nicht einmal, ob die Tür offen war da unten. Wenn sie so verschweißt ist wie die anderen, spielen die Engel Trompete, ehe ich nur in der Nähe bin.“
Carl seufzte. „Wie du meinst .“ Und einen Moment später fragte er Jonas: „Was meinst du, was auf der Rolle steht?“ Jonas machte langsamer.
„ Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Das wird gleichfalls auf das Ende zutreffen. Auf der Rolle wird Gottes Ende in Worten stehen.“ Carl blieb skeptisch. „Wenn es die Reiter gibt, dann gibt es die ganzen anderen Dinge auch. In gewisser Weise muss alles wahr sein“, sagte Jonas.
Carl wusste nichts zu e rwidern, aber das spielte im Augenblick auch keine Rolle, denn der Eingang lag vor ihnen, gleichfalls in einer Düne, doch diesmal war es keine Öffnung mit Luke nach oben, sondern eine ganz gewöhnliche, große Stahltür, die sperrangelweit offenstand. Das Licht der Fackeln strahlte
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