Wendekreis des Krebses
Knochenharten herumläuft. Das Känguruh hat einen doppelten Penis – einen für die Woche und einen für die Feiertage. Dämmern. Ein Brief von einem Weibsbild, das anfragt, ob ich einen Titel für mein Buch gefunden habe. Titel? Sicher: «Liebliche Lesbierinnen.»
Dein anekdotisches Leben! Eine Redewendung Borowskis. Mittwochs esse ich immer bei Borowski. Seine Frau, die eine ausgetrocknete Kuh ist, führt den Vorsitz. Sie lernt jetzt Englisch – ihr Lieblingswort ist ‹filthy›. Man sieht sofort, was für Nervensägen die Borowskis sind. Aber wartet nur …
Borowski trägt Kordsamtanzüge und spielt Akkordeon. Eine unschlagbare Kombination, besonders wenn man bedenkt, daß er kein schlechter Künstler ist. Er gibt vor, Pole zu sein, aber er ist natürlich keiner. Er ist Jude, Borowski, und sein Vater war Briefmarkensammler. Tatsächlich ist fast der ganze Montparnasse jüdisch; oder halbjüdisch, was schlimmer ist. Wie Carl und Paula und Cronstadt und Boris und Tania und Sylvester und Moldorf und Lucille. Alle außer Fillmore! Henry Jordan Oswald entpuppte sich ebenfalls als Jude. Louis Nichols ist Jude. Sogar Van Norden und Chérie sind jüdisch. Frances Blake ist Jude oder vielmehr Jüdin. Titus ist Jude. Ich bin ganz eingeschneit von Juden. Dies schreibe ich für meinen Freund Carl, dessen Vater Jude ist. All das zu verstehen ist wichtig.
Die reizendste Jüdin von ihnen allen ist Tania, und ihr zuliebe würde ich selbst Jude werden. Warum nicht? Ich spreche schon wie ein Jude. Und ich bin so häßlich wie ein Jude. Außerdem, wer haßt den Juden mehr als der Jude?
Dämmerstunde. Indigoblau, gläsernes Wasser, die Bäume schimmern und zerfließen. Die Schienen verschwinden im Kanal bei Jaurès. Die lange Raupe mit ihren lackierten Flanken taucht ein wie ein Küstenschiff. Es ist nicht Paris. Es ist nicht Coney Island. Es ist eine dämmerige Mischung aller Städte Europas und Mittelamerikas. Die Rangierbahnhöfe unter mir, die schwarzen, spinnwebhaften Schienen, nicht in technischer Ordnung, sondern in wirrem Muster wie die düsteren Risse im Polareis, die die Kamera in Schattierungen von Schwarz festhält.
Essen ist eines der Dinge, die ich sehr zu schätzen weiß. Und in dieser herrlichen Villa Borghese findet sich selten eine Spur von etwas Eßbarem. Zuweilen ist es einfach schrecklich. Ich habe Boris schon so oft gebeten, Brot zum Frühstück zu bestellen, aber er vergißt es immer. Anscheinend geht er zum Frühstück aus. Und wenn er zurückkommt, stochert er in seinen Zähnen, und in seinem Spitzbart hängt ein wenig Ei. Er ißt im Restaurant, aus Rücksicht auf mich. Er sagt, es sei ihm peinlich, eine richtige Mahlzeit zu essen, während ich zusehe.
Ich mag Van Norden, teile aber nicht seine Ansicht über sich selbst. Ich bin zum Beispiel nicht mit ihm einig, daß er ein Philosoph oder ein Denker ist. Er ist fotzennärrisch, weiter nichts. Und er wird nie ein Schriftsteller sein. Ebensowenig wird Sylvester je einer sein, wenn auch sein Name in fünftausendfacher Kerzenstärke roten Lichtes leuchten sollte. Die einzigen Schriftsteller aus meiner Umgebung, für die ich Achtung aufbringe, sind Carl und Boris. Sie sind besessen. Sie glühen innerlich mit weißer Flamme. Sie sind verrückt und unmusikalisch. Sie sind Leidende.
Moldorf dagegen, der auf seine Art auch leidet, ist nicht verrückt. Moldorf ist worttrunken. Er hat keine Adern oder Blutgefäße, weder Herz noch Nieren. Er ist ein Schrankkoffer mit unzähligen Schubfächern, und in den Schubfächern liegen Zettel, vollgeschrieben mit weißer Tinte, brauner Tinte, roter Tinte, blauer Tinte, zinnoberrot, safrangelb, malvenfarben, Sienna, Aprikose, Türkis, Onyx, Anjou, Hering, Corona, Grünspan, Gorgonzola …
Ich habe die Schreibmaschine ins Nebenzimmer gebracht, wo ich mich beim Schreiben im Spiegel sehen kann.
Tania ist wie Irène. Sie erwartet dickes Kaliber. Aber es gibt noch eine andere Tania, eine Tania wie eine schwere Frucht, die überall Samen verstreut – oder, sagen wir frei nach Tolstoi, eine Stallszene, in der der Fötus ausgegraben wird. Tania ist auch ein Fieber – les voies urinaires , Café de la Liberté, Place des Vosges, grelle Krawatten auf dem Boulevard Montparnasse, dunkle Badezimmer, Porto Sec, Abdullah-Zigaretten, das Adagio der Sonate pathétique , Tonverstärker, anekdotenhafte Zusammenkünfte, siennabraune Brüste, dicke Strumpfbänder, wieviel Uhr ist es, goldbraune Fasanen mit Kastanien gefüllt,
Weitere Kostenlose Bücher