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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Gedanke, einen Hund spazierenzufahren, ärgerte mich. Ich bin so gut wie ihr Hund, sagte ich mir, und damit gab ich dem Fahrer ein Zeichen und befahl ihm, mich durchs Bois zu fahren. Er wollte genau wissen, wohin. «Irgendwohin», sagte ich. «Fahren Sie durchs Bois, immer draußen herum und lassen Sie sich Zeit, ich hab’s nicht eilig.» Ich sank in die Polster zurück und ließ die Häuser, die zackigen Dächer, die Kamine, die bunten Mauern, die Pissoirs und die verwirrenden carrefours an mir vorübergleiten. Als ich am Rond-Point vorbeifuhr, kam mir der Einfall, hinunterzugehen und auszutreten. Man konnte nie sagen, was dort unten vor sich ging. Ich sagte dem Fahrer, er solle warten. Es war zum erstenmal in meinem Leben, daß ich einen Wagen warten ließ, während ich auf den Lokus ging. Wieviel kann man auf diese Weise loswerden? Nicht sehr viel. Mit dem, was ich in der Tasche hatte, konnte ich es mir leisten, zwei Taxis auf mich warten zu lassen.
    Ich sah mich gut um, sah aber nichts, was sich gelohnt hätte. Was ich wollte, war etwas Frisches und Unverbrauchtes – etwas aus Alaska oder von den Jungferninseln. Eine saubere, frische Haut mit einem natürlichen Duft. Unnötig zu erwähnen, daß nichts dergleichen umherspazierte. Ich war durchaus nicht schrecklich enttäuscht. Ich gab keinen Pfifferling dafür, ob ich etwas fand oder nicht. Man soll nie zu eifrig hinter etwas her sein. Alles kommt zu seiner Zeit.
    Wir fuhren weiter, am Arc de Triomphe vorbei. Ein paar Touristen standen vor den sterblichen Überresten des Unbekannten Soldaten. Während wir durchs Bois fuhren, betrachtete ich all die reichen Pritschen, die in ihren Limousinen spazierenfuhren. Sie sausten vorüber, als hätten sie ein Ziel. Sie taten das zweifellos, um sich wichtig zu machen, um der Welt zu zeigen, wie seidenweich ihre Rolls-Royces und ihre Hispano-Suizas liefen. In mir liefen die Dinge noch seidenweicher als je ein Rolls-Royce. In mir war alles wie Samt. Samtene Hirnrinde und samtene Wirbelsäule. Und samten geölte Achseln! Wie? Es ist etwas Wundervolles, eine halbe Stunde lang Geld in der Tasche zu haben und es hinauszuschmeißen wie ein betrunkener Matrose. Man hat das Gefühl, als gehöre einem die ganze Welt. Und das Beste daran ist, daß man nicht einmal weiß, was man damit anfangen soll. Man kann sich zurücksetzen und den Taxameter hochklettern lassen, kann sich vom Wind das Haar zerzausen lassen, man kann anhalten und einen Drink nehmen, kann ein dickes Trinkgeld geben und davonschlendern, als wäre es das Alltäglichste von der Welt. Aber man kann keinen Wandel herbeiführen. Man kann sich nicht den ganzen Dreck aus dem Leib spülen.
    Als wir zur Porte d’Auteuil kamen, hieß ich ihn Richtung zur Seine nehmen. Beim Pont de Sèvres stieg ich aus und ging den Fluß entlang auf den Viadukt von Auteuil zu. Die Seine sieht hier fast wie eine Bucht aus, und die Bäume kommen bis ans Ufer heran. Das Wasser war grün und glasig, besonders in der Nähe der anderen Seite. Dann und wann knatterte ein Lastkahn vorüber. Badende in Trikots standen im Gras und sonnten sich. Alles war ganz nahegerückt, pulsierte und vibrierte in dem starken Licht.
    Ich kam an einem Biergarten vorüber und sah eine Gruppe von Radfahrern an einem Tisch sitzen. Ich setzte mich in ihre Nähe und bestellte ein demi . Als ich sie drauflos schwatzen hörte, dachte ich einen Augenblick an Ginette. Ich sah sie im Zimmer hin und her stürmen, sich die Haare raufen und in ihrer tierischen Art heulen und jammern. Ich sah seinen Hut am Kleiderständer hängen. Ich fragte mich, ob mir wohl seine Anzüge passen würden. Er hatte einen Raglan, der mir besonders gefiel. Nun, er war jetzt schon unterwegs. In einer kleinen Weile würde das Schiff unter ihm schaukeln. Englisch! Er wollte englisch sprechen hören. Was für ein Einfall!
    Plötzlich kam mir der Gedanke, daß ich selbst nach Amerika fahren könnte, wenn ich wollte. Zum erstenmal bot sich diese Gelegenheit. Ich fragte mich: «Möchtest du fahren?» Es kam keine Antwort. Meine Gedanken schweiften zum Meer ab, zur anderen Seite, wo ich, bei einem letzten Blick zurück, die Wolkenkratzer in einem Schneegestöber hatte entschwinden sehen. Ich sah sie wieder undeutlich aufragen in der gleichen gespenstischen Weise wie damals, als ich abgefahren war. Sah die Lichter durch ihre Rippen schimmern. Sah die ganze Stadt vor mir hingebreitet von Harlem bis zur Battery, die von Ameisen wimmelnden Straßen, die

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