Wenn auch nur fuer einen Tag
Gesicht. »Ja«, sagte er fest. »Luciano Orsini ist mein Vater.«
Der Professor hob die Augenbrauen und betrachtete ihn einen Moment lang prüfend. Ob missbilligend oder beeindruckt, ließ sich schwer sagen.
»Ihre Familie wird gerade eine schwierige Zeit durchmachen, nehme ich an«, bemerkte er schließlich. »Nach allem, was die Medien berichten.«
Der junge Mann hielt dem Blick seines Gegenübers stand. »Ja, das stimmt, wir müssen uns einiges anhören. Vieles ist berechtigt, anderes nicht oder nur teilweise. Auf jeden Fall werden wir die Krise überstehen. Uns ist allen bewusst, dass mein Vater falsch gehandelt hat. Trotzdem stehen wir hinter ihm und mein Bruder und ich werden alles daransetzen, ihn zu unterstützen und den guten Ruf der Firma wiederherzustellen. Auf ehrlichem Weg, versteht sich.«
Professor Hartmann kniff die Augen zusammen, dann nickte er bedächtig und sein Mund verzog sich zu etwas, das man mit etwas Fantasie als Lächeln bezeichnen konnte. Er erhob sich und reichte dem jungen Mann über den Schreitisch hinweg die Hand. »Ich freue mich, Sie als neuen Architekturstudenten an der Universität Hamburg begrüßen zu dürfen, Matteo Orsini«, sagte er. »Ihre Kurse und Zensuren werden Ihnen selbstverständlich angerechnet.«
Der Junge atmete erleichtert auf. »Oh Mann, vielen Dank, Professor Hartmann, ich freu mich riesig, wirklich!«
»Haben Sie denn bereits eine Bleibe in Hamburg oder soll Ihnen meine Sekretärin eine Liste der Wohnheime ausdrucken?«
»Nein, vielen Dank, im Moment wohne ich noch bei meinem Onkel, ich meine … bei einem guten Bekannten und seiner Familie. So lange, bis meine Freundin und ich eine gemeinsame Wohnung gefunden haben.« Er wusste, dass den Professor der letzte Zusatz nicht besonders interessieren würde. Aber er genoss es, diese beiden kleinen Worte auszusprechen. Meine Freundin …
Als er nach draußen an die frische Luft trat, atmete er tief und befreit ein. Sein Blick wanderte zu dem metallicblauen Mustang, der auf dem Parkplatz stand. Das Baby brauchte nur noch ein paar kleine Schönheits-OPs, dann würde es in neuem Glanz erstrahlen. Eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz stand gegen die Motorhaube gelehnt und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Im Gegensatz zu dem Oldtimer war sie bereits perfekt.
Sie warf ihm ihr unglaubliches Lächeln zu, das ihre meerblauen Augen jedes Mal wie kleine Sterne funkeln ließ.
Merda , was habe ich für ein Scheißglück, dachte er, während er langsam auf sie zulief. Wer bekommt schon die Chance, zweimal geboren zu werden und das Beste aus beiden Leben abzugreifen?
Mit jedem Schritt, den er tat, fühlte er sich lebendiger und leichter. Dieses Mal, das wusste er, würde keine unerwartete Rechnung kommen, die ihn nachträglich für sein Glück zur Kasse bat. Es lag frei vor ihm und er durfte beherzt zugreifen, es auskosten und sich voller Elan in sein neues Leben stürzen! In ein Leben, das durch nichts mehr verbaut war, das viel versprach und ihn neugierig machte und das er kaum abwarten konnte zu leben. Abwechselnd bei seiner Freundin in Hamburg und seiner Familie in Rom. Als Architekturstudent, als neuer Topverteidiger in der Uni-Fußballmannschaft, als Aushilfe in einer Autowerkstatt. Als jemand, der immer ein Stück weit Lukas Richter bleiben würde.
Als er bei ihr angelangt war, umschlang sie seinen Hals und küsste ihn.
Als Matteo Orsini.
Annette Moser wurde 1978 in Hamburg geboren. Sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Bamberg und in Rom. Danach arbeitete sie mehrere Jahre als Lektorin in einem Kinder- und Jugendbuchverlag. Sich selbst Geschichten auszudenken, war schon immer ihr Traum. Heute wohnt sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten in Nürnberg und widmet sich ganz dem Schreiben.
© 2012 Loewe Verlag GmbH, Bindlach
Covergestaltung: Christian Keller unter Verwendung eines Fotos von Gettyimages © gettyimages/Chris Fortuna
Redaktion: Christiane Arold
eBook-Konvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Mobipocket ISBN 978-3-7320-0105-7
Printausgabe ISBN 978-3-7855-7561-1
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