Wenn auch nur fuer einen Tag
und merke, wie die schützende Müdigkeit mit jedem seiner Worte meinen Körper verlässt. Ich kann sie nicht aufhalten, sosehr ich es auch versuche. Und ich kann das, was er sagt, nicht mehr ignorieren. Ich bin gezwungen zuzuhören.
Matteo
»Matteo, Fabio! Endlich!« Unsere Mutter umarmt uns, als wir am Bahnhof Termini aus dem Zug steigen. Mich hält sie etwas länger fest als meinen Bruder. Sie kommt mir weniger zart und gebrechlich vor als damals, als ich fortgegangen bin. Ihre Wangen sind rosig und ihre Augen strahlen richtig. Ob es dieser Bildhauer ist, der sie so glücklich macht? Fabio konnte mir nicht mehr über ihn erzählen als das, was ich bereits übers Internet wusste. Er hatte in seiner alten Manier nicht weiter nachgeforscht und wohl gehofft, das Ganze wäre nur ein Gerücht.
»Matteo, deine Haare sind ja schon fast wieder ganz dunkel. Und lass mal sehen … diese scheußlichen grünen Kontaktlinsen musst du auch nicht mehr tragen. Jetzt bist du endlich wieder mein Junge. Ach, wie ich mich freue, dass du zurück bist. Es war furchtbar, nicht zu wissen, ob du jemals wieder nach Hause darfst. Ich habe jeden Tag an dich gedacht, tesoro .« In ihren Augen glänzen Tränen, während sie meine Hand drückt.
»Ich bin auch froh, wieder hier zu sein«, murmele ich und wünschte, es wäre die ganze Wahrheit.
»Es gibt bestimmt eine Menge zu erzählen«, sagt meine Mutter. »Aber zuallererst: Wie war euer gemeinsamer Urlaub in der Toskana?«
Fabio und ich wechseln einen Blick. »Es war der beste Urlaub meines Lebens«, antwortet Fabio und ich nicke zustimmend.
»Wie schön, es war eine tolle Idee von Fabio, dich in Hamburg abzuholen, nicht wahr, Matteo? Papa und ich wussten auch nichts davon. So, ihr beiden, jetzt kommt aber. Hoffentlich habt ihr Hunger. Lucia hat ihre wunderbaren Spinat-Ricotta-Tortellini gemacht.«
Nachdem Fabio aus dem Krankenhaus entlassen wurde, fuhren wir nicht gleich zurück nach Rom, sondern zu unserem Ferienhaus in die Toskana. Nur wir beide. Es war meine Idee und Fabio war einverstanden. Erst schwiegen wir uns einen ganzen Tag lang an. Und dann begannen wir zu reden. Wir redeten zwei Wochen lang. Über alles. Über jeden. Über das, was in Hamburg passiert ist. Wir erzählten uns, wie es uns in den letzten Jahren neben dem anderen ergangen ist, wir schrien uns an, wir betranken uns, wir flennten und wir lachten. Und wir stellten einvernehmlich fest, wie gut es ist, dass uns niemand bei unseren Gesprächen belauscht, weil uns jeder halbwegs normale Mensch als durchgeknallte Schwuchteln bezeichnet hätte.
Ich habe mit der Zeit verstanden, warum Fabio Schiss davor hatte, dass ich sein Leben durch meine Rückkehr wieder zerstören könnte. Und er hat kapiert, dass ich nie vorhatte, ihn beiseitezudrängen und alle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wir wissen jetzt mehr voneinander als je zuvor und das fühlt sich verdammt gut an. Ich weiß, diese Tatsache wird uns dabei helfen, unser Leben in Zukunft besser auf die Reihe zu kriegen. Irgendwie. Auch wenn in meinem ein wichtiger Mensch fehlt. Denn Jana gehörte in Lukas Richters Leben. Und das ist vorbei.
Nach einem genialen italienischen Abendessen, wie es nur Lucia mithilfe der Geheimrezepte ihrer Großmutter hinbekommt, und an dem sich Anne Beck lieber nicht messen sollte, räuspert sich mein Vater.
»Tja, also … Wir haben einiges mit euch zu besprechen, Jungs.«
Fabio schenkt mir Rotwein nach und ich blicke meinen Vater erwartungsvoll an. Während mir meine Mutter jünger als sonst und regelrecht aufgeblüht vorkommt, sieht mein Vater grau und mitgenommen aus. Ich habe mich richtiggehend erschrocken, als ich ihm zum ersten Mal wieder gegenüberstand. Ich hatte ihn größer und breitschultriger in Erinnerung. Furcht einflößender.
»Ich werde eine Zeit lang ins Gefängnis gehen. Etwa vier Jahre lang.«
»Was?«, entfährt es meinem Bruder und mir gleichzeitig.
»Wegen Veruntreuung von Geldern. Es wird eine harte Zeit auf uns und die Firma zukommen. Das war nicht so geplant. Ich habe mich selbst überschätzt. Es … tut mir leid.«
Wir antworten nicht. Mir brennen Kommentare auf der Zunge wie: Es war ja klar, dass du irgendwann für deine krummen Geschäfte büßen musst. Du konntest den Hals eben nicht voll genug kriegen. Jetzt bist ausgerechnet du es, der den Namen Orsini besudelt – das nennt man wohl Ironie des Schicksals. Aber ich schlucke sie hinunter. Vielleicht, weil mein Vater diese wenigen Worte ausgesprochen
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