Wenn das Schlachten vorbei ist
als die Kälte, die in ihr eingeschlossen war, ein Gefühl der Taubheit, das so tief saß, dass sie ebensogut eine Leiche hätte sein können. Mit einem Hass, wie sie ihn bisher nicht gekannt hatte, sah sie auf das Meer. Sie hasste seine Monotonie, seine Gleichgültigkeit, seine durch Mark und Bein gehende Kälte. Und dann, mit einemmal, war sie durstig. Noch immer durstig. Durstiger, als sie es im Meer gewesen war, und dort war sie durstiger gewesen als jemals in ihrem Leben.
In diesem Moment fiel ihr Blick auf etwas metallisch Glänzendes am vorderen Ende des Sandstreifens. Die Kühlbox. Da stand sie, und der Deckel war noch verschlossen. Beverly sprang von ihrem Sims. Sie war schmutzig und verschmiert, ihre Glieder waren zerschlagen, ihre Zunge schien aus Filz zu bestehen. Sie rannte zu der Box und riss den Deckel auf. Das Eis war geschmolzen, die Flaschen waren zerbrochen – alle bis auf eine. Eine kostbare dunkelbraune, nasse Flasche. Das Etikett war abgelöst, und unter dem Kronkorken waren Sandkörner. Sie hob die Flasche hoch und sah, dass sie unbeschädigt war. Kleine Bläschen fingen das Licht ein und stiegen in einem langsamen, hypnotischen Tanz auf. Bier. Kaltes Bier. Aber sie hatte keinen Öffner, keinen Hebel oder Schraubenzieher, kein Messer oder Werkzeug. Wo war Till? Wo war er, wenn sie ihn brauchte?
Sie dachte daran, wie lässig er seine Bierflasche an der Kante des Küchenschranks oder der Werkbank in der Garage öffnete, wie der Kronkorken im Bogen davonflog und Till die Flasche an den Mund hob, alles in einer einzigen, fließenden Bewegung, als gehörten das Öffnen und das Austrinken der Flasche zu ein und demselben physikalischen Vorgang. Über ihr glitt eine Möwe im Wind dahin und musterte sie, wehklagte über ihren zerschlagenen, geschundenen Körper und verschwand. Beverly sah sich verzweifelt nach etwas um, was ihr als Werkzeug dienen könnte, doch hier gab es nur Sand, Treibholz und Steine.
Steine. Mit einem Stein würde es gehen. Natürlich. Sie strich mit der Hand über die Felswand und suchte nach einem Vorsprung, einer Kante. Da, da war eine. Sie legte die Kante des Kronkorkens darauf, und dann schlug ihre verbrühte Hand zu, einmal, zweimal … Nichts. Sie schlug immer heftiger, verzweifelt, wütend, fuchsteufelswild, mit dem Ergebnis, dass die Zacken des Korkens nun geglättet waren, so dass die Flasche nur noch fester verschlossen war als zuvor, und das war zuviel, das war mehr, als sie ertragen konnte – und dann war es passiert: Der Flaschenhals war abgeschlagen und klaffte, und sie schüttete den ganzen Inhalt in drei gierigen Schlucken in sich hinein, und wenn Splitter darin waren und diese ihre Speiseröhre der Länge nach aufschlitzten, dann war ihr das vollkommen egal, denn sie trank, und das war das einzige, was zählte.
Dann war die Flasche leer, doch der Durst war noch da und rasselte in ihr wie ein Zuckerrohrfeld in einem Wüstenwind, und war es ein Wunder, dass sie sich beschwipst fühlte? Sie hatte Alkohol immer gut vertragen, war stolz darauf, dass sie genausoviel trinken konnte wie Till, doch dieses eine Bier machte ihr zu schaffen, und auf einmal saß sie im Schneidersitz im Sand wie ein Buddha, als hätte sie es von vornherein nicht anders vorgehabt. Die Sonne schien inzwischen weitergewandert zu sein und näherte sich der flachen grauen Oberfläche des Meers, wo der Nebel sie einhüllen und auslöschen würde wie eine Zigarette – wie die Zigarette, nach der Beverly sich plötzlich ebensosehr sehnte wie nach Wasser. Sie stand auf und ging auf wackligen Beinen zur Kühlbox. Die stand noch dort, wo sie sie vor nicht mal zehn Minuten abgestellt hatte (oder war es schon länger her? War sie eingenickt?), doch nun kam die Flut und wollte sie wieder mitnehmen. Beverly schleifte sie mühsam über den Sand zu der Fläche an der Felswand und bugsierte sie dann auf das etwa eineinhalb Meter höher gelegene Sims. In der Box waren Scherben, Sand, Tangfetzen und eine Flüssigkeit, die wohl eine Mischung aus Bier und Schmelzwasser war und somit trinkbar sein und ihren Durst hätte stillen müssen, doch als sie den Finger hineinsteckte und ihn ableckte, schmeckte sie nichts als Salz.
Die Abenddämmerung senkte sich herab, unterstützt und beschleunigt durch den Nebel, der sich über die Klippe legte, während die Flut stieg, und obwohl das Wasser mehr als knietief war, erkundete sie die muschelbewachsenen Felsen an beiden Enden des winzigen Strandes und suchte einen
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