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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Wenn es keine Vögel gab, fraß sie Ratten und Eidechsen. Und wenn sie keine Ratten oder Eidechsen finden konnte, kam sie in den Garten oder ins Haus und schnappte sich alles, was sie finden konnte, ob lebendig oder nicht. Zweimal stieß sie beim Öffnen der Bauchhöhle einer Schlange auf blasse, zerdrückte Reste von Plastikfolien, in denen rohe Hamburger verpackt waren. Und einmal – es war ein Bild wie aus einem Buñuel-Film – entdeckte sie den blutgetränkten Zylinder eines gebrauchten Tampons. Noch heute sieht sie manchmal, wenn sie nachts die Augen schließt, im Zwielicht ihres Bewusstseins die Schlangen, die sich hoch aufrichten, die Köpfe hierhin und dorthin recken und nach etwas suchen, an dem sie emporklettern könnten.
    Tim plaudert. Das Boot hüpft. In ihrem Magen blubbern das Studentenfutter und der Kaffee, mit dem sie es hinuntergespült hat, aber sie wird nicht seekrank – nie. Der Geist ist stärker als die Materie – oder vielmehr die Verdauung. Und der Reflux. Manche können das kontrollieren, manche nicht. Tim zum Beispiel ist unerschütterlich. Er könnte ein siebengängiges Menü verspeisen und den ganzen Tag am Magic Mountain Achterbahn fahren, ohne dass es ihm das geringste ausmachen würde – ja, wenn die Zentrifugalkräfte nicht wären, würde er sich wahrscheinlich die Serviette umbinden und das Menü in der Achterbahn verspeisen. Einige Passagiere scheinen allerdings empfindlicher zu sein, darunter mindestens eine der Journalistinnen, die Alma mit diesem kleinen Ausflug gewinnen will, und unwillkürlich ist sie ein wenig besorgt. Toni Walsh von der Zeitung in Santa Barbara, die bisher nicht sonderlich enthusiastisch über das Rattenprojekt und die sich daraus ergebende Frage der Schweinebekämpfung auf Santa Cruz berichtet hat, wirkte schon als sie an Bord kam, als hätte sie eine schwere Nacht hinter sich. Das Boot hatte den Hafen kaum verlassen, da setzte sie sich auf einen Platz am Fenster, legte den Kopf auf den Tisch und schloss die Augen. Jetzt, kaum zwei Kilometer von der Küste entfernt, steht sie abrupt auf und taumelt hinaus zum Achterdeck, wo der Wind ihr Frühstück davontragen kann. Kein guter Anfang. Und natürlich muss Tim, nur um sie ein bisschen zu ärgern, die Augenbrauen hochziehen und flüstern: »Wir erleben gerade die Entstehung eines bösen Artikels.«
    Das Boot verlangsamt die Fahrt und gleitet zum Anlegesteg, die Sonne wirft lange Lichtsäulen durch das, was vom Nebel noch übrig ist, die Klippen ragen auf, Vögel schreien, und in die Passagiere kommt Bewegung. Leute, die während der ganzen Fahrt keinen Ton gesagt haben, plappern plötzlich mit hohen, aufgeregten Stimmen, die Sechstklässler sind außer Rand und Band – Was haben die nur davon, denkt sie, außer Zucker und Sonnenbrand? –, und auf den Gesichtern ihrer Kollegen liegt jener seltene Ausdruck von Freude und Entspannung, den sie sonst nur freitags nachmittags zu sehen bekommt. Sie ist mitten unter den Leuten, hilft ihnen die Leiter hinauf, plaudert, flachst und wird von Alicia, der blassen, schüchternen Sekretärin, sonst so verschlossen wie eine Truhe, deren Schlüssel verlorengegangen ist, sogar mit einem Lächeln belohnt, und dann schüttelt sie Fausto Carillo, dem Bürgermeister von Oxnard, die Hand – er lächelt breit und strahlend – und führt die leicht taumelnde Toni Walsh zur Leiter.
    Sie hat eine kurze Unterredung mit Wade, und dann werden die Kühlboxen ausgeladen und auf ihren Kunststoffkufen donnernd über die sonnengebleichten Planken des Stegs geschoben. Alle Einzelheiten sind geklärt, das Picknick ist in Vorbereitung, und sie muss jetzt nur noch für Ablenkung sorgen, und zwar mit dem, wie sie hofft, Höhepunkt des Tages: dem Spaziergang. Während Wade und ein paar andere den Grill entzünden und im Garten des Besucherzentrums – von wo sich eine Aussicht über den Kanal bietet, die selbst den nüchternsten, zynischsten Bürohengst beeindruckt – Picknicktische aufstellen, gehen sie und Tim, wie verabredet, langsam den Hügel hinauf und führen den gemeinschaftlichen Spaziergang auf dem Rundweg an. Sie achtet darauf, langsam zu gehen, besonders auf den Stufen, wo sie immer wieder stehenbleibt, um auf diese oder jene Pflanze hinzuweisen und den weniger Durchtrainierten Gelegenheit zum Verschnaufen zu geben. Wenn sie erst einmal oben sind, verläuft der Weg ebener, und dann wird sie reichlich Gelegenheit haben, die Grundsätze und Methoden der Inselregeneration ins rechte

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