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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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gelaufen?«, fragte ich.
    »Gut. Es geht ihr schon viel besser. Sie redet und das alles. Sie klingt wieder wie sie selbst. Es war gut. Jetzt bist du dran. Aber sag bloß nichts, das sie aufregen könnte.« Ich lächelte über Lilys Fürsorge, dann ging ich zu Jena hinein.
    Sie saß in Jeans und T-Shirt auf einem Stuhl neben dem Bett und wirkte noch immer sehr dünn. Alles in allem sah sie jedoch bedeutend besser aus als bei unserer letzten Begegnung. Ihr Haar war gewaschen und gekämmt. Es glich noch nicht wieder einer Löwenmähne, war aber auch nicht mehr so kraftlos. Ihre Kleidung war sauber, und Jena sah mich direkt an, als ich hereinkam. Sie hatte noch immer dunkle Schatten unter den Augen, und die Erinnerung an den Schmerz stand ihr ins Gesicht und in die Augen geschrieben - besonders in die Augen: Sie waren von jener Dunkelheit, die sämtliches Licht zu absorbieren scheint. Trotzdem konnte ich irgendwo da drinnen die alte Jena erkennen, und sie hatte nicht mehr dieses zombiehafte Aussehen. Sie wirkte eher wie jemand, der sich von einem Zugunglück erholt.
    »Hallo«, sagte ich und ließ mich auf das Bett plumpsen. »Du siehst gut aus.«
    »Es geht mir besser«, erwiderte sie. »Erheblich besser. Ich erinnere mich immer noch nicht an viel, besonders was die letzten Monate betrifft. Und dass ich ihn
erschossen habe, daran kann ich mich überhaupt nicht entsinnen.
    Die letzten paar Jahre - ich weiß zwar, dass ich sie gelebt habe, aber es kommt mir alles so unglaublich vor, als wäre es jemand anderem widerfahren und ich hätte nur dabei zugesehen. Wer hätte damals, als wir Kinder waren, gedacht, dass mein Leben mal so enden würde?«
    »Es ist nicht zu Ende«, sagte ich. »Gar nichts ist zu Ende.«
    Sie schüttelte den Kopf, als versuchte sie die Jahre abzuschütteln, dann sagte sie: »Lily scheint es wirklich gut zu gehen. Dafür habe ich dir zu danken. Sie wirkt völlig verändert.«
    »Sie ist ein gutes Mädchen. Du solltest stolz auf sie sein. Ich bin es.«
    »Ich weiß nicht, wann ich in der Lage sein werde, sie zurückzuholen. Ich habe diese Flashbacks, bei denen ich Jerry sehe. Er wirkt so lebensecht, dass ich mich manchmal frage, ob er wirklich tot ist. Ich bin immer noch nicht ganz in Ordnung.«
    »Oh, er ist ganz sicher tot. Ich bin überzeugt, dass Betsy ihm einen Pfahl durchs Herz getrieben hat, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Und mach dir wegen Lily keine Gedanken. Sie hat immer ein Zuhause. Du kannst sie morgen abholen, oder du kannst sie bei mir lassen, bis sie achtzehn ist. Aber wenn du sie morgen mitnimmst, dann stell dich darauf ein, dass ich zu Besuch kommen werde, und zwar oft.«
    »Die Erinnerungen an Lily sind das Allerschlimmste«, sagte sie. »Besonders die an das Motelzimmer. Er ist auf sie losgegangen wie sonst immer auf mich.«

    »Sei nicht so streng mit dir. Das, was du getan hast, war unglaublich. Es ist keine leichte Übung, aus einem Fenster im zweiundzwanzigsten Stock zu fallen, dabei jemand aufzufangen und wieder nach drinnen zu werfen. Ist das für einen Tag nicht Leistung genug?«
    Sie hob die Hand. »Ach Breeze, du musst mich nicht verteidigen. Es gibt nichts, worauf ich stolz sein könnte. Ich habe zugelassen, dass ein Monster über mein Leben bestimmt. Nach einer Weile habe ich nichts mehr für irgendjemand empfunden, nicht einmal mehr für Lily. Ich war total abgestumpft, drogenabhängig und an irgendeinen Ort in meinem Kopf verschwunden, den ich nicht mal beschreiben könnte.«
    »Aber das stimmt nicht«, widersprach ich. »Wenn du nichts für Lily empfunden hättest, hätte er niemals versucht, sie zurückzuholen.«
    Sie schwieg einen Moment. »Vielleicht«, sagte sie schließlich. Sie verstummte wieder und sah weg. »Ich war völlig hin und weg von ihm, als ich ihn kennenlernte. Ich habe nichts davon kommen sehen. Die Wahrheit ist, ich glaube, dass ich nicht sehr gut bin im Umgang mit Menschen. Ich habe mich in Gesellschaft anderer eigentlich nie wohlgefühlt.«
    Sie sah wieder zur Seite, und ich war mir fast sicher, dass sie gerade an das dachte, worin sie gut war - das Bergsteigen. »Patagonien?«, fragte ich sanft.
    »Ja.« Sie rieb sich mit den Fingern über die Handflächen. »Ich wünschte, ich könnte irgendwann mit dir dorthin fahren. Du würdest nicht glauben, wie sich die Felsen unter deinen Händen anfühlen, wie es ist, inmitten all dieser weißen Gipfel zu sein, und das in einer
Stille, die so mächtig ist, dass sie Gewicht und Masse zu haben scheint.

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