Wenn Du Luegst
Kick geben. Jede Art von Protest würde ihm verraten, dass es mir etwas ausmachte, was von vorneherein sein einziges Ziel gewesen war.
Und wogegen konnte ich schon protestieren? Wenn ich jedes der Worte, die er gerade gesagt hatte, notierte, würde nicht der Hauch einer Bedrohung in ihnen zu finden sein. Trotzdem hatte das Gefühl, bedroht zu werden, mir die Härchen im Nacken aufgestellt. Am meisten brachte mich auf, dass er mich beim Vornamen genannt hatte. Natürlich war es ein Leichtes für ihn gewesen, ihn in Erfahrung zu bringen. Er brauchte nur seinen Anwalt zu fragen, wer der Gutachter seines Falls sein würde. Zu wissen, wie er ihn herausgefunden hatte,
brachte nichts. Die Vertrautheit, die er hatte andeuten wollen, war eindeutig da gewesen: eine bedrohliche, schmierige Art von Vertrautheit, die mir das Gefühl gab, vergewaltigt worden zu sein.
Ich wartete einen Moment, bevor ich sprach. »Mr Collins«, sagte ich dann mit ausdrucksloser Miene. »Können wir über das Sexualdelikt sprechen, für das Sie sich derzeit in Haft befinden?«
Collins senkte den Blick, bevor er antwortete. Als er wieder hochsah, war er erneut in die Rolle des reumütigen Büßers geschlüpft. »Es steht alles da drin«, sagte er mit einem wegwerfenden Winken zu den Akten vor mir. »Müssen wir wirklich darüber reden? Ich bin damals ein anderer Mensch gewesen, ich hatte noch nicht zu Christus gefunden. Warum in der Vergangenheit herumstochern? Und letztendlich wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin, wenn ich das alles nicht getan hätte.« Er zuckte die Achseln. »Es gehört alles zu Gottes Plan. Trotzdem wünschte ich, es gäbe eine Möglichkeit, es wiedergutzumachen. Ich bete jeden Tag für sie, aber ich habe das Gefühl, als sollte ich mehr tun.«
Er spielte die Rolle ziemlich gut. Aber auch ohne die Attacke von eben hätte ich sie ihm nicht abgekauft. Ich hatte einen Vorteil, von dem er nichts wusste. Synästhetiker ticken völlig anders, und zu meiner speziellen Ausprägung der Synästhesie gehört es, Veränderungen in der Textur der Stimme hören zu können, wenn Menschen lügen. In dem Moment, als er angefangen hatte, über seine religiöse Bekehrung zu sprechen, war seine Stimme von glatt und messingartig zu kratzig und rau übergegangen. Wenn Menschen lügen, muss es irgendeine
Veränderung in ihrem Tonfall geben, denn das ist das Einzige, worauf die Synästhesie anspricht. Dabei sind diese auditiven Veränderungen zu subtil, als dass ich sie hören könnte. Sie werden jedoch in etwas übersetzt, das ich mühelos sehen kann.
»In Ordnung«, sagte ich. »Was ist mit Ihren früheren Straftaten, wie zum Beispiel der, für die Sie ursprünglich inhaftiert wurden? Soweit ich weiß, haben Sie einen Seven-Eleven-Supermarkt ausgeraubt. Sie wären inzwischen wieder frei, wenn Sie nicht die Therapeutin vergewaltigt hätten.«
»Ich sagte bereits, dass es keinen Sinn hat, in der Vergangenheit herumzustochern.« Gereiztheit schlich sich in seine Stimme zurück. Als ich nichts erwiderte, fuhr er fort: »Okay. Ich habe nie geleugnet, dass ich ein wilder Kerl war. Damals hatte ich einfach keinen Funken Verstand.« Er seufzte, als hätte er es satt, das ständig wiederholen zu müssen. »Ich wollte an diesem Abend zu einer Party, und als ich dort ankam, stellte ich fest, dass ich das Bier und meinen Geldbeutel zu Hause vergessen hatte. Anstatt die Sachen zu holen, bin ich einfach wie der letzte Idiot in einen Seven-Eleven marschiert und habe mir ein paar Sixpacks geschnappt.«
»Nun, wie kann es sein, dass Sie Ihren Geldbeutel vergaßen, aber an Ihre Schusswaffe dachten, wenn Sie keinen Raubüberfall geplant hatten? Nehmen Sie immer eine Waffe mit, wenn Sie zu einer Party gehen?«
»In meinem Viertel daheim in Dallas haben wir das getan. Es war eine gefährliche Gegend, und unbewaffnet hat man es dort nicht lang gemacht. So war es halt damals. Ich schätze, es war für mich einfach zur Gewohnheit
geworden. Ich bin der Erste, der zugibt, dass die ganze Sache bescheuert war.«
»Mr Collins, Sie haben sich nicht einfach ein paar Sixpacks Bier geschnappt. Sie haben die Kasse ausgeraubt.«
»Das war ein dummer Zufall. Ich hatte nicht vor, sie auszurauben. Aber der Kassierer dachte, dass ich das wollte, und er machte die Schublade auf und begann regelrecht, mir Geld entgegenzuwerfen. Dumm wie ich war, nahm ich das auch. Ich wünschte, er wäre nicht so in Panik geraten. Ich wollte niemand verletzen.«
Ich warf einen Blick auf
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