Wenn es daemmert
Geld, und das bekommen sie, indem sie hier arbeiten. Die Löhne sind in Schottland immer noch viel höher als in diesen Ländern. Manche arbeiten offiziell in allen möglichen Handlangerjobs. Das ist die harte, ehrliche Variante. Da fließt das Geld langsamer. Manche schmuggeln, nur mittlerweile aus der anderen Position heraus: Sie sind jetzt in der EU und schmuggeln von innen herein. Einige Frauen prostituieren sich, verdienen viel Geld in kurzer Zeit und machen hier die Preise kaputt. Ich habe von Polinnen gehört, die auf dem Straßenstrich in Edinburgh arbeiten und die Hälfte dessen nehmen, was die schottischen Mädchen verlangen. Dazu sehen sie meist noch besser aus, nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht drogenabhängig sind. So machen sie in einer Nacht oft mehr Geld als die anderen Frauen in einer Woche. Es gibt deshalb dauernd Schlägereien unter den Frauen in Edinburgh und Glasgow. Die Preise im Bereich der Edelprostitution hingegen sind astronomisch, da zahlen die Männer für den Exotenbonus.«
»In Bordellen – oder Saunen, wie sie es nennen?«, fragte Mina.
»Auch, das Spektrum reicht bei den Saunen von billig bis edel, aber die wirklich exklusiven Frauen arbeiten in Privaträumen, in eigens dafür angemieteten Luxuswohnungen, in denen sie auch leben. Da gibt es wenig Ärger mit der Polizei. Keine Schlägereien, zu denen man uns ruft, keine Razzien, weil irgendwo immer auch der Bürgermeister oder ein Parlamentsmitglied zugange sein könnte.«
»Und das sind alles illegale Einwanderer?«, fragte Cedric.
»Nicht nur. Die Besonderheit bei den illegalen Mädchen ist, dass ihre Papiere von den Zuhältern einbehalten werden, bis sie das Geld abgearbeitet haben. Die gefälschten Papiere kosten, nur mal als Rechenbeispiel, tausend Pfund. Dann zahlen sie für den Transport noch einmal, hm, fünftausend, vielleicht auch zehntausend. Natürlich hat keines der Mädchen so viel Geld und ihre Familien auch nicht. Wir reden hier von Menschen, die eine vierköpfige Familie mit umgerechnet nicht mal hundert Pfund im Monat durchbringen müssen.« Hepburn sah Cedric an, und ihr Blick wurde ganze zehn Grad kühler. »Ich weiß, so viel kostet normalerweise Ihr Abendessen.« Cedric bemühte sich erst gar nicht, etwas darauf zu erwidern. »Und dann werden die Mädchen auf den Strich geschickt. Sie wohnen zu mehreren in kleinen Apartments, für die sie selbstverständlich auch noch horrende Mieten zahlen müssen, und so weiter. Sie können sich vorstellen, wie lange es unter den Umständen dauert, bis sie ihre Schulden abbezahlt haben. Es ist fast unmöglich. Die Zuhälter lassen sie irgendwann laufen, wenn sie kein Geld mehr einbringen oder körperlich völlig am Ende sind sind. Das dauert aber oft ein paar Jahre.«
»Ein paar Jahre?«, sagte Cedric ungläubig.
»Ja, so lange. Deshalb sind den Zuhältern ja auch Illegale lieber als EU -Bürgerinnen. Gegen die haben sie kein Druckmittel.«
»Und wenn sie als Au-pairs …«
»Sexspielzeug, meinen Sie. Fragen Sie Ihren Vater, was er bezahlt hat. Und fragen Sie auch gleich, wofür.« Spätestens jetzt war klar, dass sie Bescheid wusste. »Die Rechnung geht ungefähr so: Die Schulden des Mädchens belaufen sich auf zehntausend Pfund. Der Zuhälter findet jemanden, der für das Mädchen fünftausend Pfund zahlt, damit er sie ein halbes Jahr behalten kann. Der Zuhälter sagt ihr dann, er hätte in dem halben Jahr noch weitere Ausgaben gehabt. Er hätte zum Beispiel neue Papiere beschaffen müssen. Irgendetwas fällt ihm schon ein. In jedem Fall behält er das Mädchen, solange er kann.«
»Solange er kann?«, fragte Mina.
»Bis sie abhaut, bis sie sich verstümmelt, damit sie nichts mehr wert ist, bis sich ein Freier in sie verliebt und sie heiraten will, bis sie zu den Behörden geht und darum bettelt, wieder in die Armut ihrer Heimat zurückgeschickt zu werden, bis sie sich umbringt. Die Liste ist noch viel länger. Suchen Sie sich was aus.«
Als sie das Pub verlassen hatten, entspannte sich Cedric etwas. Margaret saß an Minas Laptop, um sich die Fotos anzusehen, die ihre Tochter in den letzten zwei Wochen gemacht hatte. Sie wollte Gesichter zu den Namen, hatte sie gesagt, und Mina hatte sie gelassen. Mütter wollten immer die Tagebücher ihrer Töchter lesen, und sie würden sie auch zu lesen bekommen, ob man Ja sagte oder nicht. Mütter waren die besten Spürhunde, wenn es darum ging, versteckte Tagebücher zu finden, die besten Einbrecher, wenn es
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