Wenn es daemmert
darum ging, die winzigen Schlösser der Bücher zu knacken, und wahrscheinlich machten moderne Mütter heimlich Kurse im Computerhacking, um in den E-Mails der Töchter herumzuschnüffeln. Wozu also Nein sagen? Deshalb zog sie sich mit Cedric in die Küche zurück.
»Und Sie denken, Sie können sich darauf verlassen, dass Sie Ihrem Vorgesetzten nicht erzählt, wo Sie den Hinweis auf die Agentur herbekommen hat?«, fragte Cedric.
Mina schüttelte den Kopf. »Sie wird ihm nichts sagen. Und Sie haben Ihr Gewissen beruhigt. So gesehen war es doch ein erfolgreicher Abend.«
»Sie weiß natürlich, dass es um Pepa ging.«
»Sie sollten mit Ihrem Vater sprechen«, drängte Mina.
Cedric hob die Schultern und wirkte noch zerbrechlicher als ein Swarovski-Schwan. »Ich werde von ihm keine ehrlichen Antworten bekommen. Abgesehen davon habe ich Angst um Pepa. Ich glaube, sie weiß, wer Matt umgebracht hat.«
»Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Mina hatte Mühe, ruhig zu bleiben.
»Ich sagte Ihnen doch, dass es möglicherweise eine Verbindung mit dem Mordfall …«
»Sie müssen zur Polizei! Los, wir gehen rüber ins Pub und sehen nach, ob Hepburn noch da ist.«
»Ich kann nicht !« Cedric sah sie flehend an. »Es geht nicht. Ich bin schon viel zu weit gegangen.«
»Aber warum? Sie sagen selbst, dass Brady auch Sie verdächtigt hat – auch wenn ich sicher bin, dass er es vor allem auf mich abgesehen hat.«
»Ich kann nicht !«, wiederholte Cedric, und da verstand sie.
»Sie glauben, dass Ihr Vater in dieser Sache drinhängt?«, fragte sie ungläubig.
Er nickte.
»Verdammt.«
Er nickte immer noch.
»Ich habe keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen«, sagte Mina und merkte zu spät, dass sie »wir« gesagt hatte.
Ein plötzliches Aufseufzen ihrer Mutter ließ sie aufhorchen. Sie ging zu Margaret ins Wohnzimmer.
»Was ist?«
Margaret zeigte auf ein Foto. »Roland«, sagte sie leise.
Mina sah auf das Bild, suchte nach dem alten Mann, den sie vor ein paar Tagen beerdigt hatten, und verstand nicht, was ihre Mutter meinte. Es war eine Aufnahme von Matts Party, auf der auch Fotos von Pepa entstanden waren: Pepa mit Matts Hand auf ihrem Hintern. Das Bild zeigte ein paar Studenten und einige ältere Herrschaften, die Mina für amerikanische Golftouristen hielt. Einer von ihnen sprach mit Pepa.
»Hier«, sagte Margaret und zeigte auf ebendiesen Mann. »Er sieht aus wie mein Vater!«
Sie klickte ein Bild weiter. Auch auf diesem Foto waren der Mann und Pepa zu sehen. Ein weiteres Bild. Die beiden sprachen immer noch. In Serie wirkten die beiden in ihrer Plauderei fast vertraut. Anhand der wechselnden Gäste im Vordergrund schloss Mina, dass das Gespräch mindestens eine Viertelstunde gedauert haben musste. Die Uhrzeit auf den Fotos bestätigte dies.
Niemand sah aus wie Roland Barrington, auch nicht dieser Mann. Nicht einmal seine Söhne kommen nach ihm, dachte Mina, konzentrierte sich aber wieder auf den Mann, der mit Pepa sprach, und verstand langsam, was ihre Mutter meinte. Hätte Margaret ihr gesagt, der Mann sähe aus wie Tiger Woods, nur älter und weiß, hätte Mina wahrscheinlich auch eine Ähnlichkeit entdeckt.
»Na ja, mit viel gutem Willen … Wenn man es unbedingt sehen will …«
»Du hast Recht«, sagte Margaret und biss sich auf die Unterlippe. »Es tut mir leid. Ich sehe Gespenster.«
Mina legte den Arm um sie und drückte sie fest an sich. »Bisschen viel, das alles. Für uns beide. Hm?«
Cedric war zu ihnen gekommen. Er sah sich das Bild an. »Ist das Pepas …« Er sprach es nicht aus, weil ihm einfiel, dass Margaret nicht Bescheid wusste.
»Wie kommen Sie darauf?«, wollte Mina wissen.
»Er redet die ganze Zeit, sie sagt nie etwas, sondern hört nur zu. Er sieht aus, als gäbe er ihr Anweisungen.«
»Sie interpretieren Dinge hinein, die Sie sehen wollen«, widersprach Mina lahm, denn sie hatte genau denselben Gedanken gehabt.
»Er sieht nicht aus wie ein Golftourist«, sagte Cedric.
»Wovon redet ihr?«, wollte Margaret wissen.
»Dieser Mann«, sagte Cedric zerstreut, ohne auf sie einzugehen. »Er ist in Harrow zur Schule gegangen. Würden Sie mal seine Krawatte vergrößern, bitte?« Margaret tat es. »Sehen Sie.«
»Sie haben Recht«, sagte Margaret. »Ein Harrovian.«
Harrow School: nach Eton die gefragteste Privatschule für den hoffnungsvollen männlichen Nachwuchs der Reichen und Adligen dieses Landes.
»Warum sollte jemand, der in Harrow zur Schule gegangen ist, so
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